GOTISCHES TYPAR DES IV. HAMBURGISCHEN STAATSSIEGELS - image-1
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Lot 1365 Dα

GOTISCHES TYPAR DES IV. HAMBURGISCHEN STAATSSIEGELS

Auktion 995 - Übersicht Köln
12.05.2012, 00:00 - Alte Kunst
Schätzpreis: 450.000 € - 550.000 €
Ergebnis: 548.000 € (inkl. Aufgeld)



GOTISCHES TYPAR DES IV. HAMBURGISCHEN STAATSSIEGELS

Bronze mit Resten von Feuervergoldung, beigegeben Samtbeutel

Flache Siegelplatte, recto mit einer fein geschnittenen Darstellung des Hamburger Staatswappens mit spiegelbildlicher Umschrift: "+SIGILLVM + BVRGENSIVM * DE * HAMMEN.BVRCH". Verso eine keilförmige Handhabe mit kleiner Öse. Durchmesser 8,9 cm.
In ledergefüttertem Samtbeutel wohl des 18. Jahrhunderts, auf der Vorderseite das Hamburger Wappen in Flachstickerei zwischen gekreuzten Palmzweigen.
HAMBURG, um 1300

Das Typar des IV. Hamburgischen Staatssiegels war für ein halbes Jahrtausend - vom frühen 14. Jahrhundert bis zum frühen 19. Jahrhundert - sichtbares Symbol der Unabhängigkeit der selbstbestimmten Freien und Hansestadt Hamburg. Dies Zeichen städtischen Selbstbewusstseins kehrte 1945 nach seiner Auslagerung nicht nach Hamburg zurück und wurde 1986 in einer Auktion von den heutigen Besitzern öffentlich ersteigert. Die Unterschutzstellung als nationales Kulturgut bedeutet, dass dieses historische und kunsthistorische Juwel die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen darf.

Das in Bronze gefertigte, vorderseitig vergoldete Typar ist eine Goldschmiedearbeit von starker Ausdruckskraft: Die Qualität des Metallschnitts, das wuchtige Burgtor als Stadtsymbol und die Eleganz der Umschrift bei knapp 9 cm Durchmesser machen es zum Repräsentanten einer stolzen Bürgerschaft. Es ist zugleich das älteste erhaltene Werk der bedeutenden Hamburger mittelalterlichen Metallkunst und ihrer dank der Münzstätte hochentwickelten Stempelschneidekunst. Der ebenfalls in Bronze gegossene großartige Türzieher am Westportal der St. Petrikirche entstand erst um 1342.

Im Findbuch der Petschaftsammlung des Staatsarchivs Hamburg lautet die Beschreibung: „Das Siegelfeld ist kreisrund, 89mm im Durchmesser, umrandet von einem Perlkranz; zwischen diesem und einer aus Perlkranz und schlichtem Kreis gebildeten Doppellinie vom 68mm Durchmesser beginnt links oben die Inschrift: „+ Sigillum + Burgensium * de * Hammen.burch“.

Die wachsende fensterlose Burg ruht auf einem Perlkranz. Das eisenbeschlagene Tor ist geschlossen. In halber Höhe läuft um die Burgmauer, die von sieben Zinnen gekrönt ist, ein Band. Hinter den Zinnen erheben sich drei fensterlose, mit einem Mauerband gezierte Türme. Die seitlichen tragen eine überragende, durch gebogene Streben gestützte Zinnenplatte, die rechte mit vier, die linke mit fünf Zinnen. Der Mittelturm überragt die seitlichen mit seiner etwas länglichen Kuppel, über welcher sich auf dem Knauf ein Kreuz erhebt. Seitlich von diesem schwebt je ein sechsstrahliger Stern. Die kleine Handhabe auf der Rückseite des Typars diente zum Herauslösen des Stempels aus dem Wachsabdruck.

„Die Dreiturmgruppe ist sozusagen die eindrucksvollste Abkürzung der Vieltürmigkeit der Stadt.“ So hat dies bereits 1951 Günter Bandmann gesehen. Damit kann Stadt im Allgemeinen, aber auch das Himmlische Jerusalem gemeint sein. Jedenfalls wird die Stadt, die im 12. und 13. Jahrhundert gerne als Burg bezeichnet wird, mit dem mittleren Turm, der hinter dem Burgtor aufragt und mit einem Kreuz gekrönt ist, unter himmlischen Schutz gestellt. Daran mögen auch die Sterne erinnern, für die bisher kein überzeugender Interpretationsvorschlag gemacht worden ist.

Dem hier vorgestellten Siegelstempel der Stadt Hamburg, dessen Nutzung erstmals für den 25. Dezember 1304 nachgewiesen ist, gehen drei weitere mit weitgehend gleicher Burgdarstellung und Umschrift voraus. Der früheste Abdruck des ersten Siegels der Hamburger Bürger ist an einer Urkunde des Jahres 1241 erhalten, die einen Vertrag mit der Stadt Lübeck besiegelt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass in dieser Anfangsphase des Wechsels der Stadtherrschaft vom Stadtherrn zu den Bürgern mehrfach Typare neu gefertigt werden. Auch für Lübeck, deren Bürger sich bereits 1226 für ein Schiffssiegel nach westlichem Vorbild - besonders Paris und La Rochelle werden genannt - entscheiden, werden bis 1280 drei Typare gefertigt. Die Stadt Duisburg hat bis 1360 sogar vier Typare für ihr großes Stadtsiegel anfertigen lassen.

Die politisch führenden Bürger Hamburgs, um 1250 zumeist landadeliger Herkunft und in Lehensbeziehung zu den Holsteiner Grafen, den Stadtherren, entscheiden sich anders. Sie übernehmen das Münzbild der Münze der Holsteiner Grafen, der sowieso ihre ganz besondere Aufmerksamkeit gilt. Sie beanspruchen seit 1239 die Prüfung der gräflichen Erzeugnisse auf Gewicht und Silbergehalt, um so die materielle Grundlage ihres Handels zu sichern. 1255 besitzen sie das Aufsichtsrecht bei der Prägung, 1293 pachten sie die Münzproduktion und schließlich erwerben sie 1325 das alleinige Münzrecht von den Grafen. Damit gibt das Siegelbild einem deutlichen Anspruch Ausdruck und Gestalt. Die Inbesitznahme des Bildes der Stadt, das selbstverständlich kein realistisches Abbild sein soll, ist Ausdruck des realen Herrschaftsbedürfnisses über das Geld als Mittel des Handels und der Vermögensbildung, natürlich aber auch über die Stadt selbst. Die Unabhängigkeit einer freien Reichsstadt, die Lübeck 1226 verliehen wurde, erreicht Hamburg - bei aller faktisch erreichten städtischen Freiheit - erst spät und nach langen juristischen und diplomatischen Auseinandersetzungen. Lange hatte man auch die finanziellen Lasten gescheut, die die Verpflichtungen gegenüber dem Kaiser mit sich brachten. Endgültig wird die Reichsunmittelbarkeit Hamburgs erst 1768/69.

Ursprünglich wurde das Typar in einem mit Eisen beschlagenen Kästchen verwahrt. Dessen Verbleib ist nicht bekannt. Der kostbar bestickte Beutel aber, der dem Typar zusätzlichen Schutz gab, ist erhalten.

Werner Schäfke, Direktor a. D. des Kölnischen Stadtmuseums, Köln 29.1.2012

Provenienz

Ab etwa 1300 im Rat (Senatus) der Freien Hansestadt Hamburg (die älteste Urkunde, auf der sich ein Abdruck des vorliegenden Typars findet, stammt vom Weihnachtstag des Jahres 1304 und regelt die Sicherung der Landstraße zwischen Hamburg und Lübeck. Sie wird heute im Archiv der Hansestadt Lübeck verwahrt). - 1810/1811 Außerdienststellung des Siegels und Archivierung in der Kämmerei und im Stadt- und späteren Staatsarchiv. - 1945 Verlust nach der Auslagerung in einem stillgelegten Salzbergwerk in Grasleben. - 1986 öffentliche Versteigerung in Niedersachsen, durch höchstrichterlichen Beschluss bestätigt. Seitdem im Kölner Kunsthandel und späterem Privatbesitz.

National wertvolles Kulturgut der Bundesrepublik Deutschland.

Literaturhinweise

Zum Hamburger Typar siehe besonders Gaedechens, C. F.: Der freien und Hansestadt Hamburg Wappen, Siegel, Flagge und Cocarde. Hamburg 1855, S. 25. - Hatz, Gert: Die Anfänge des Münzwesens in Holstein. Die Prägungen der Grafen von Schauenburg bis 1325, Hamburg 1952, S. 81. - Eckardt, Hans Wilhelm: Stationen eines Stempels. Historische und archivarische Anmerkungen anläßlich des juristischen Streites um das IV. Hamburgische Staatssiegel, Hamburg 1995 (grundlegend und mit weiterer Literatur). - Weidner, Amalie: Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, Berlin/New York 2001, S. 293ff.
Allgemein siehe Günter Bandmann: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 1951, S. 98. - Diederich, Toni: Zum Quellenwert und Bedeutungsgehalt mittelalterlicher Städtesiegel. In: Archiv für Diplomatik 23, 1977, S. 269-285. - Diederich, Toni: Rheinische Städtesiegel, Neuss 1984, S. 217 ff. - Ehbrecht, Wilfried: Ältere Stadtsiegel als Abbild Jerusalems. In: Gabriela Signori (Hg.): Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung. Darmstadt 2007, S.107-129. - Fink, Georg: Die Lübecker Stadtsiegel. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 35, 1955, S. 14-33. - Gabrielsson, Peter: Die Zeit der Hanse 1300-1517. In: Werner Jochmann und Hans-Dieter Loose (Hg.): Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner. Bd. 1, Hamburg 1882, S. 101-190. - Johanek, Peter: Die Mauer und die Heiligen. Stadtvorstellungen im Mittelalter. In: Behringer, Wolfgang und Roeck, Bernd (Hg.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400-1800, München 1999, S. 26-38 u. 428-431. - Wegemann, Georg: Die Brakteaten und Hohlpfennige Lübecks, Hamburgs und Bremens und die Hohlmünzen des Erzbischofs von Bremen-Hamburg Gerhards zur Lippe 1219-1258, Detmold 1956. - Richter, Klaus: Hamburgs Frühzeit bis 1300. In: Werner Jochmann und Hans-Dieter Loose (Hg.): Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner. Bd. 1, Hamburg 1882, S. 17-100.