Aufbruch und Blüte (1815 - 1871)

Anlässlich der Preußen Auktion haben wir die Zeit zwischen 1701 und 1918 in Kapitel unterteilt, in denen wir die Akteure, Kommentatoren und Stilrichtungen vorstellen. Lassen Sie sich überraschen!

Antikenrevival und Fer de Berlin

In den Ohren und Herzen vieler preußischer Bürger und Soldaten hatten die Befreiungskriege gegen Napoleon auch den Ruf nach mehr Freiheit in sich getragen. Doch die Erwartungen auf die von König Friedrich Wilhelm III. versprochene Verfassung wurden enttäuscht. Statt politischer Mitsprache, Presse- und Versammlungsfreiheit kam die Zeit der Restauration: Die Großmächte schlossen sich im Wiener Kongress 1815 zur sogenannten Heiligen Allianz zusammen und bildeten einen Pakt gegen bürgerlich-demokratische Tendenzen. Genauso wenig erfüllte sich die Hoffnung auf die Bildung eines deutschen Staats, was das Ende der Fürstenherrschaft bedeutet hätte. Die erhoffte Zeitenwende blieb aus und stattdessen erreichte auch Preußen das „lange 19. Jahrhundert.“ In den nächsten Jahrzehnten wurden in Preußen die Rufe nach mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit durch verschärfte Repression im Keim erstickt. Teils aus Zwang, teils aus Kriegsmüdigkeit oder auch aus Überzeugung zog man sich nun ins Private zurück, um den lang ersehnten Frieden zu genießen. 

„Überall ist man nur da wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft.” (Karl Friedrich Schinkel)

Frieden, Wohlstand und Ordnung vermittelt auch die Malerei auf der Adlerhenkelvase (Lot 236). Das versprochene Elysium wird gehalten vom Macht und Stärke symbolisierenden preußischen Adler, der den Unterbau dieses „goldenen Zeitalters“ bildet. Palmettenfries und Akanthusranken sind als Verweise auf die Antike bewusst gesetzt. In Anlehnung an antike Formensprache und Bemalung entstand auch eine exzeptionelle königliche Prunkschale (Lot 253), gleichfalls ein königliches Geschenk. In dieser Zeit entwickelte die KPM eine besonders feine Technik der Landschaftsmalerei, welche sie an die Spitze aller Manufakturen katapultierte. Spitzenstücke dieser Epoche finden sich in unserem Katalog: Darstellungen der Linden-Promenade in Berlin (Lot 234 ), Potsdamer Ansichten (Lot 236) und des Blockhaus Nikolskoe (Lot 235). Der Gipfel dieser Könnerschaft findet sich in der Kratervase mit Panorama unter den Linden (Lot 245). Diese 360° Ansicht zeigt sowohl Schlüters Fassaden von Zeughaus und Stadtschloss, als auch die erst kurz vor Entstehen der Vase errichteten Bauten von Neuer Wache (Königswache) und Schlossbrücke. Damit tritt der preußische Baumeister und Stadtplaner auf die Bühne, der diese Epoche entscheidend prägen wird: Karl Friedrich Schinkel. 

Neben seinem Talent als Architekt war Schinkel auch als Bühnenbildner und Designer erfolgreich. Nach einem Schinkel-Entwurf entstanden auch die klassizistische Deckenkrone (Lot 208) und der seltene und bedeutende Salonstuhl (Lot 239), als auch ein Paar kleiner Wandleuchter (Lot 241), ein Berliner Rahmen (Lot 240) und – etwas indirekter – auch ein Gueridon aus Zinkguss (Lot 278).

Karl Friedrich Schinkel begegnet uns auch als Architekt. Zum einen in der Vase mit der Ansicht von „Schloss Babelsberg bei Potsdam“ (Lot 286), dessen erste Bauphase in der Hand des Meisters lag. Für den zweitgeborenen Sohn Friedrich Wilhelm III., den späteren König Wilhelm I. und seine Gattin Augusta plante Schinkel das Schloss im neugotischen englischen Stil. Zum anderen – aber das ist eher ein architekturgeschichtliches Detail – war es Schinkel, der das Prinzessinnenpalais durch einen Schwebebogen mit dem Kronprinzenpalais verband – wie auf der großen Vase (Lot 287) zu sehen ist.  

Der Aufschwung des Staates war den preußischen Kriegshelden zu verdanken, wie dem „allzeit glücklichen“ General Friedrich Wilhelm von Bülow, der in den Befreiungskriegen gegen Napoleon keine einzige Schlacht verlor und als Retter Berlins gefeiert wurde (Lot 285). Für außergewöhnliche militärische Leistungen hatte Friedrich Wilhelm III. 1813 das Eiserne Kreuz gestiftet, auch um die Moral seiner Truppen zu stärken. Diese Kriegsauszeichnung war insofern revolutionär, als sie Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften gleichermaßen verliehen wurde. Gestaltet worden war das Eiserne Kreuz übrigens von dem damals noch nicht so berühmten Geheimen Oberbauassessor Karl Friedrich Schinkel. 

Einige Objekte des sogenannten „fer de Berlin“ finden sich auch in diesem Kapitel, unter anderem ein elegantes Eisencollier (Lot 200). Es belegt nicht nur die Raffinesse, die Möglichkeiten des preußischen Eisenkunstgusses dieser Zeit, sondern ist auch Ausdruck der patriotischen Grundhaltung seiner Trägerin „Gold gab ich für Eisen”. Die voranschreitende Industrialisierung Preußens veränderte Staat und Gesellschaft fundamental – und brachte mit dem Berliner Eisen auch ein neues künstlerisches Spielfeld hervor. Dabei profitierten die rohstoffarmen preußischen Stammlande und Berlin von den Montanindustrien der schlesischen und rheinischen Provinzen. Ohne diesen Reichtum an Ressourcen wäre der Eisenbahnbau als grundlegende Infrastruktur der neuen Zeit nicht in gleicher Dimension und Geschwindigkeit möglich gewesen. So feierte man zum Beispiel die Eröffnung der Bahnlinie Berlin-Hamburg von 1846 auf einer Neujahrsplakette aus Eisen (Lot 279). Den darauf abgebildeten „Hamburger Bahnhof“ werden Sie heute zwar eher im Kontext zeitgenössischer Kunst betreten, ein Stück preußischer Geschichte bleibt das spätklassizistische Gebäude dennoch.