Freiheitskampf (1790-1815)

Anlässlich der Preußen Auktion haben wir die Zeit zwischen 1701 und 1918 in Kapitel unterteilt, in denen wir die Akteure, Kommentatoren und Stilrichtungen vorstellen. Lassen Sie sich überraschen!

Als Friedrich Wilhelm III. den Thron bestieg, änderte sich vieles am preußischen Hof. Der junge Herrscher und seine geliebte Königin Luise pflegten einen fast bürgerlich erscheinenden Lebensstil. Dekadente Ausschweifungen und verwahrloste Sitten hatte Friedrich Wilhelm III. schon bei seinem Vater verachtet und entsprach damit ganz dem bescheidenen Zeitgeist, der sich dem sozialen Druck der Straße anzupassen hatte. Man stellte den eigenen Reichtum nicht mehr zur Schau, denn der Guillotinen-Horror aus Frankreich saß der herrschenden Klasse im Nacken. So schrieb Friedrich Wilhelm III, gerade noch Kronprinz, in seinen „Gedanken über die Regierungskunst“ um 1796/97: „Ein fürstlicher Hof ist gewöhnlich mit trotzigen, eingebildeten, hochmüthigen und impertinenten Subjekten versehen. Eben daher kömmt es denn, dass die meisten Höfe gewöhnlich als Sitze des Lasters und der Üppigkeit von dem Land verabscheut werden.“ Passend dazu pries der Dichter Karl Alexander Herklots den König 1798 mit den Versen: „Nicht dem Purpur, nicht der Krone// Räumt er eitlen Vorrang ein//Er ist der Bürger auf dem Throne//und sein Stolz ist’s Mensch zu sein.“ Folgerichtig lässt sich Friedrich Wilhelm III. statt in üppigen Gewändern in seiner Uniform und mit dem Schwarzen Adlerorden porträtieren (Lot 164).

Die französische Kultur, die das höfische Leben der Deutschen zu dieser Zeit stark beeinflusste, neigte dazu, die römische Tradition zu bevorzugen.

Der Paradigmenwechsel vom Rokoko hin zu klassizistischer Ordnung durchzog von der Architektur bis zur Mode alle Kunstformen. Während die Mätresse von Friedrich Wilhelm II., Wilhelmine Enke, noch den Stilposen einer Marie-Antoinette nacheiferte, zeigte sich Königin Luise im vergleichsweise einfachen Gewand und zurückgenommener Haltung (Lot 165). Von der beliebten Königin und ihrem Mythos handelt Philipp Demandts Beitrag „Die Preußenmadonna.“

Aus den Architekturplänen verschwanden die Blätter weit verzweigten Rocaillen, stattdessen baute man jetzt nach griechischem Vorbild. Durch Sternstunden der Archäologiegeschichte wie der Entdeckung von Olympia durch Johann Joachim Winckelmann, kannte man nun die ursprüngliche Bauweise der alten Tempel und stellte damit seinen wissenschaftlichen Vorsprung aller Welt zur Schau. Eine Besonderheit des Winckelmann´schen Klassizismus liegt in der Bevorzugung des griechischen Erbes gegenüber der lateinisch-römischen Antike. Dies hatte auch politische und zeitkritische Gründe: Die französische Kultur, die damals auch an den deutschen Höfen gelebt wurde, berief sich auf die römische Antike. Der Aufklärer Winckelmann hingegen stellte dem römischen Despotismus die griechische Demokratie gegenüber. Die französische Mode hingegen findet in der Zeit der Besatzung durchaus Eingang in die preußische Kunst. Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist die Königliche Fußschale (Lot 163). 

Friedrich Wilhelm III. mag abseits seiner vorbildlichen Sittlichkeit kein voranpreschender Reformator gewesen sein, aber seine Berater waren es allemal. Während der französischen Okkupation des unter Napoleon setzten Köpfe wie Gerhard von Scharnhorst, Wilhelm von Humboldt oder Karl Freiherr vom Stein Reformen durch, die den preußischen Staat wieder handlungsfähig machten. Dazu gehörte die Aufhebung der Leibeigenschaft oder die Einführung der für alle gesellschaftlichen Klassen geltenden, deshalb allgemeinen Wehrpflicht. Das veränderte den Korpsgeist in der Armee gravierend. Nun kämpften keine Söldner mehr, die mit Drill und Stockschlägen an die Waffe gezwungen werden mussten. 

Als 1813 nach dem verheerenden Russlandfeldzug sogar Friedrich Wilhelm III. davon überzeugt werden konnte, dass Napoleons letzte Stunde bald schlagen könnte, erhob sich eine stolze Armee aus allen Gesellschaftsschichten für die Befreiungskriege. Bei der KPM waren militärische Motive sehr gefragt: So finden sich in diesem Kapitel auch Teller mit detaillierten Abbildungen französischer und preußischer Soldaten (Lots 169, 170, 171, 172). So entstand ein nie gekanntes Gemeinschaftsgefühl innerhalb des preußischen Flickenteppichs. Der Sieg gegen Napoleon 1815 war die Grundlage für ein neues romantisches Nationalgefühl, das sich im folgenden Jahrhundert weiter ausbilden und das Königshaus vor neue Herausforderungen stellen würde.

Die Preußenmadonna

Im Juli 1810 starb Luise, die Königin von Preußen. Vier Jahre zuvor war das Land Napoleon unterlegen, jetzt, auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen und moralischen Misere, verlor Preußen die schöne Landesmutter, die heldenhafte Lichtgestalt. Doch kein Tod ohne Leben: Im Mythos wurde Luise wiedergeboren, wurde zur Losung in den Befreiungskriegen, wurde zur Mutter der deutschen Nation.

„Ich bin wie vom Blitz getroffen”, schrieb General Blücher auf die Todesnachricht und setzte resigniert hinzu: „Es ist doch unmöglich, daß einen Staat soviel aufeinanderfolgendes Unglück treffen kann.” Längst nämlich wähnten sich die Preußen auf dem Tiefpunkt ihrer Geschichte. Der frühe Tod der Königin Luise im Juli 1810 belehrte sie eines Besseren. Die Niederlage gegen Napoleon 1806, die überstürzte Flucht der Königsfamilie nach Ostpreußen und das Friedensdiktat von Tilsit hatten das Land schwer getroffen. Preußen verlor die Hälfte seines Staatsgebietes wie seiner Bewohner, tagelang hing seine Existenz als souveräner Staat am seidenen Faden.

Als die Hoffnung auf einen milden Frieden schwand, ließ sich die Königin zu einem Bittgang zu Napoleon überreden. Dabei war der Hass der beiden aufeinander legendär: Eine „blutrünstige Amazone” hatte der Korse seine „größte Feindin” öffentlich genannt. Und diese sparte nicht mit Widerworten: Bonaparte, der „sich aus dem Kot emporgeschwungen” hatte, war der „Teufel in Menschengestalt”. Zwar änderten beide ihre Meinung, als sie sich in Tilsit gegenüberstanden – sie bewunderte sein Cäsarenhaupt, er nannte sie eine Frau „von Geist und Haltung” – dennoch fanden die Bitten der Königin kein Gehör.

Das Gespräch endete jäh, als Friedrich Wilhelm III. in das Zimmer stürmte; zu lange war seine Frau mit Preußens Erzfeind schon allein gewesen. „Der König kam zur rechten Zeit”, erzählte Napoleon nachher. „Wäre er eine Viertelstunde später hereingekommen, so hätte ich der Königin alles versprochen.” Friedrich Wilhelm ging als Trottel in die Geschichte ein. Seine Frau hingegen wurde zur Symbolfigur des deutschen Durchhaltewillens noch im Angesicht der größten Schmach. Als solche sollte sie noch Joseph Goebbels im Jahr  vor das Volk treten lassen. 

Seit ihrer Ankunft in Berlin  war die schöne Mecklenburgerin enorm beliebt. Vor allem die Männerwelt lag ihr zu Füßen. Dichter wie Diplomaten berauschten sich an ihrem Anblick, und bei Staatsbanketten wurde Luise mitunter so unnachsichtig angestarrt, dass ihr der Appetit verging. Schuld daran war aber nicht zuletzt sie selbst, ging sie doch in der „griechischen Mode” voran: Weit ausgeschnittene, hauchdünne Gewänder, die den „vollen Spielraum der Bewunderung” ermöglichten, machten sie zur erotischen Idealgestalt ihrer Epoche. Wenngleich manche Zeitgenossen die Stirn in Falten legten: „Ich kann nicht begreifen, wie der König seiner koketten Frau erlauben kann, sich so anzuziehen”, schrieb etwa die Gräfin Brühl. Deutlichere Worte fand  Marie von Bunsen in Erinnerung an die wilhelminische Ära: „So hüllenlos wie Königin Luise, das hätten in meiner Zeit nur Kokotten getan.” 

Luises Volksnähe, ihr ungekünsteltes Verhalten und ihre für den Adel ungewöhnliche Liebesheirat hatten ihr die Sympathien des Bürgertums gebracht, das seine Lebensweise in ihr verkörpert glaubte. Wie anders sah dagegen das Leben am Hof des Schwiegervaters aus, Friedrich Wilhelms II., des „dicken Lüderjahns”, wie ihn der Volksmund nannte. „Ganz Potsdam war wie ein Bordell”, erinnerte sich der Bildhauer Schadow. Die Verklärung der jungen Königin, 1797 auf den Thron gestiegen, besaß darum von Anfang an politische Bedeutung. Luise wurde zum Inbegriff der „neuen Frau”, der treuen, häuslichen und zärtlichen Mutter, was ihre Rolle als Mittlerin zwischen Bürgertum und Krone noch stärkte. Jede Frau und Mutter solle ein Bild der Königin in ihrem Zimmer haben, begeisterte sich Novalis, und die Schriftstellerin Maria Mnioch hoffte, solche „Madonnenbilder” könnten die „blöden Gemüter” des Adels heilen. So war es vor allem die Lebensweise, die das Königspaar zur politischen Führung legitimierte. Ein Herrscherpaar, das nach den Maximen des Bürgertums lebte, konnte diesem kein Gegner im Kampf um Freiheit und politische Rechte sein, sondern wies in eine gemeinsame, bürgerliche Zukunft.

Wie so oft aber war das Wunschdenken mächtiger als die Wirklichkeit. Vergessen war, daß Luise zur Verschwendung neigte und Friedrich Wilhelm nur den Bürger mimte, weil ihm seine Königswürde eine Bürde war. Was machte es, daß König und Königin im absolutistischen Denken gefangen blieben, die zelebrierte Natürlichkeit im Zeitalter der Empfindsamkeit auch eine Bewegung des Adels war und Luise von Eingeweihten zwiespältig beurteilt wurde? „Sie ist keine edle Frau”, schrieb der Freiherr vom Stein. Er fand sie oberflächlich und gefallsüchtig, während Gneisenau sie auch in ihrer Rolle als Mutter „nicht achtungswürdig” nannte. „Selbst ihr Herz war ihrem Gemahl nicht immer zugewandt”, schrieb der Feldmarschall, schließlich war die Vernarrtheit der Königin in den russischen Zaren am Hof bekannt. Kritik wie diese aber blieb der Öffentlichkeit verborgen und konnte darum das ideale Bild der Königin nicht trüben. Ihre Kinder dankten ihr die zwanglose Erziehung mit inniger Liebe. Und während Frankreich unter den Nachwehen der Revolution zu leiden hatte, verkörperte Luise in Preußen die Hoffnung auf Erneuerung der Monarchie auf gewaltlosem Wege.

Die Königin wurde um so wichtiger, als sich nach 1806 das Bedürfnis nach einer moralischen Instanz ganz und gar auf sie richtete. Die Niederlage gegen Napoleon hatte zahlreiche Mißstände offenbart: Die Organisation des Militärs war veraltet, die Bindung des Volkes an den Staat gering, die Kabinettsregierung schwerfällig und der König unfähig, den Problemen seiner Zeit angemessen zu begegnen. Während sich Friedrich Wilhelm mit dem Gedanken trug, auf den Thron zu verzichten, zeigte seine Gattin Pragmatismus. „Man sieht sie einen wahrhaft königlichen Charakter entwickeln”, schrieb Heinrich von Kleist. Historisch korrekt setzte Theodor Mommsen 1876 hinzu, Luise habe wie viele Frauen im Unglück eine Stärke offenbart, die Männer für gewöhnlich in der Not verlören.

„Man sieht sie einen wahrhaft königlichen Charakter entwickeln.” Heinrich von Kleist

Zwei Männer hielten jedoch der Belastung stand, Männer, auf die Luise große Hoffnung setzte: die Staatsreformer Stein und Hardenberg, die das Fundament des modernen Preußens legten. Während sich Stein durch seine schroffe Art die Königin im Lauf der Zeit zur Feindin machte, konnte Hardenberg auf ihre beständige Unterstützung zählen. Seine Berufung zum Staatskanzler 1810 war Luises Werk. Zahlreiche Neuerungen wie die allgemeine Wehrpflicht und die Gewerbefreiheit, die Emanzipation der Juden, die Befreiung der Bauern und die Städteordnung sollten die Identifi- kation der Bürger mit den Belangen des Staates stärken. Das revolutionäre Frankreich hatte als Vorbild gezeigt, welche Kräfte eine von Verfassung und Zivilgesetzbuch geschützte Nation besaß, und zugleich als Feindbild ein neues Gemeinschaftsgefühl im Kampf gegen die Besatzer erzeugt. Nun galt es, die Errungenschaften der Revolution zu verwirklichen, ohne den absoluten Machtanspruch der preußischen Monarchie zu schmälern.

All das war um so dringlicher, als „Nation” und „Vaterland” zu Losungsworten der Besatzungszeit geworden waren. Überall im Land wurden Tugendbünde gegründet, um die patriotische Gesinnung zu stärken. Der moderne Nationalismus war entstanden, aufgeklärt und idealistisch auf der einen Seite, hasserfüllt und aggressiv auf der anderen, in beidem jedoch ein Appell an Deutschlands Bürger, ihr politisches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Hatte Hegel 1802 noch die „politische Nullität” des bürgerlichen Standes gerügt, so gründeten Bürger nun soziale Stiftungen, von denen einige Luises Namen trugen. Die „Geburt der deutschen Nation” heißt diese Zeit in den Geschichtsbüchern, eine Zeit, die das Bild des Staatsbürgers bis heute prägt, eine Zeit, in der die Königin von Preußen plötzlich stirbt.

Luises Tod am 19. Juli 1810 war für Preußen ein Schock. Auf dem Tiefpunkt der wirtschaftlichen und moralischen Misere stirbt die einzige Lichtgestalt, erst Monate zuvor aus dem Exil zurückgekehrt. Schreckliche Szenen spielten sich an ihrem Sterbelager ab. Der König, die beiden ältesten Söhne, die Schwester Friederike, der Vater und sogar die Großmutter waren zugegen, als Luise im Schloss von Hohenzieritz, dem Landsitz ihres Vaters, nach tagelangem Todeskampf einem Lungenleiden erlag, 34 Jahre alt. „Sie ist mein Alles!” hatte ihr Mann zuvor geschrieben. „Wenn wir nur beisammen bleiben, dann ergehe über uns was Gottes Wille ist. Amen! Amen! Amen!” Als ihn die Ärzte drängten, ihr die Nachricht von der Unausweichlichkeit des nahen Todes zu überbringen, und er darüber die Fassung verlor, war sie es, die ihn stützte. Es könne nicht Gottes Wille sein, dass sie von ihm gehe, sagte Friedrich Wilhelm zu ihr am Sterbebett, da doch nur sie sein Freund auf Erden sei. „Und Hardenberg”, fiel Luise ihm ins Wort. Sie wahrte Haltung bis zum Ende.

Wenige Wochen später warfen die Druckerpressen das erste Bild der Sterbeszene aus. Die Darstellung bediente das Verlangen nach einem Mythos, denn sie entsprach der bürgerlichen Vorstellung vom schönen Tod: Abschied nehmend von der Familie, die Kinder segnend, starb die Königin den Tod der tugendhaften Christin. Ihrem „bürgerlichen” Leben folgte ein ebensolcher Tod.

Als der Leichenzug Berlin erreichte, wurde er am Brandenburger Tor von einer gewaltigen Menge empfangen. Es herrschte eine Stille, „die man sich kaum vorstellt”, berichtete Wilhelm von Humboldt. Zum großen Bedauern des Publikums aber hatte die Sommerhitze dem Leichnam so zugesetzt, daß man ihn nicht mehr zeigen konnte. Dennoch gab es im Stadtschloß die Gelegenheit, drei Tage lang an dem Sarg vorbeizudefilieren.

Mythen sollen historischen Ereignissen Sinn verleihen, und es dauerte nur Tage, bis die kollektive Suche nach einem Sinn in Luises Tragödie am Ziel war: „Man hörte aus dem Munde sonst ruhiger Bürger die fürchterlichsten Verwünschungen gegen den verhassten Usurpator ausstoßen, der mit kaltem Hohn das Herz der Königin zum Tode verwundet hatte”, schrieb die „Vossische Zeitung” später. Als bekannt wurde, dass die Obduktion einen organischen Herzfehler zutage gebracht hatte, war der Beweis dafür erbracht, was jedes preußische Schulkind bis 1945 lernen sollte: daß die Königin Luise am gebrochenen Herzen gestorben war, aus Gram über ihr geschundenes Vaterland. Das Wissen von der Gefährdung ihrer Gesundheit nach zehn Schwangerschaften binnen anderthalb Jahrzehnten wich dem Glauben an ihren Märtyrertod. Die mehr als ein Jahrhundert währende Erbfeindschaft mit Frankreich war besiegelt und das für den Nationalismus grundlegende Feindbild ausgemacht, definierten sich doch nahezu alle europäischen Nationen des 19. Jahrhunderts durch den Gegensatz zu ihren Nachbarn. „Louise sei das Losungswort zur Rache!” rief Theodor Körner, der Heldendichter der Befreiungskriege, und so war und blieb der Tod der Königin „ein Mord, begangen durch die französische Nation”, wie man noch 1892 bei Hermann Maertens lesen konnte: „Ihn zu rächen wurde unserer Nation zur heiligen Pflicht. Diese Anschauung ist bis heute eine Erbschaft Preußens geblieben.”

„Der Tod einer schönen Frau ist ohne Zweifel das poetischste Thema der Welt.” Edgar Allan Poe

Die deutschnationale Sammlung um die Bahre der „echt deutschen Frau” entsprach jedoch nur bedingt den Interessen der preußischen Monarchie. Zu oft vernahm man den Ruf nach dem „Schutzgeist deutscher Sache”, als welcher Luise weiterlebte. In der offiziellen Verlautbarung auf ihren Tod mahnte denn auch der Hofprediger Sack das Volk zur bedingungslosen Treue zum vereinsamten Preußenkönig und versicherte, dass es nur natürlich sei, wenn sich nach dem Tod der Landesmutter die Hinterbliebenen dem „doppelt teuren Vater” anschlössen. Die tote Königin wurde zur politischen Herrschaftsressource. Und in der Tat gab der scheue, linkische König in der Realität wie in der Phantasie der Menschen ein so erschütterndes Bild ab, dass er dem Volk sympathisch wurde. Er war der „trauernde Ritter, der seine verlorne Geliebte nimmer vergessen konnte”, schrieb Ernst Moritz Arndt, der im Witwer ein poetisches Ideal erblickte. „Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet”, erklärte Gneisenau 1811 dem König. Drei Jahrzehnte später schrieb Edgar Allan Poe: „Der Tod einer schönen Frau ist ohne Zweifel das poetischste Thema der Welt.”

Als 1813 die Befreiungskriege begannen, stiftete Friedrich Wilhelm am Geburtstag seiner verstorbenen Frau ihr zu Ehren einen Kriegsorden. Er wurde erstmals unabhängig von Stand und Rang verliehen und ist noch heute das Hoheitsabzeichen der Bundeswehr: das Eiserne Kreuz. Die Karriere seiner Frau als deutsche Einigungsfigur hat er damit ungewollt befördert, hatte doch die Nationalbewegung erheblich dazu beigetragen, die Begeisterung jener Tage zu schüren. Als unter dem Zeichen des Kreuzes ein Sieg dem anderen folgte, galt das als Beweis für Luises Fortwirken im Himmel. „Wie der Engel mit dem Flammenschwert”, so Mommsen, war sie den Heerscharen vorangezogen.

Entgegen der Tradition der Hohenzollernfamilie hatte Friedrich Wilhelm seine Frau nicht im Berliner Dom bestatten, sondern ihr ein Mausoleum im Charlottenburger Schlosspark bauen lassen. Für den Innenraum schuf Christian Daniel Rauch eine Sarkophagfigur. Sie wurde ein Meilenstein des Klassizismus und der Grundstein für Rauchs Aufstieg zum erfolgreichsten deutschen Bildhauer seines Jahrhunderts. Just am 30. Mai 1815, dem Tag, da der König vom Wiener Kongress zurückkehrte, war das Denkmal in Charlottenburg vollendet. Konnte das ein Zufall sein? Sofort nach seiner Ankunft begab sich der König mit seinen Kindern in den Tempel. Da lag Luise in der Blüte ihrer Jahre. Eine antike Göttin, wie schlafend, in einem Gewand so dünn, daß sie fast wie nackt erschien. Das Bildnis einer Frau, die das Leben noch vor sich hatte. Kaum eine Vorstellung hat die Dichterherzen der vaterländischen Historiker seitdem mehr bewegt als die des traurigen Siegers, der von der feierlichen Erneuerung der alten Ordnung kam, für die Luise sich geopfert hatte, und seinen Lorbeerkranz nun auf ihr Grabmal legte.

Gleich wie es einer Frau zum letzten Mal vergönnt war, im Licht der Moderne eine Heilige zu werden, so sollte es einem Kunstwerk letztmalig gelingen, zur Ikone zu werden, zum magischen Objekt. Hunderttausende besuchten und berührten jene Grabstatue, zumal die marmorne Luise alsbald an die Stelle der historischen getreten war. Dass Luise „statuenschön” gewesen sei und von „hellenischem Geist” erfüllt, dass sie „alabasterweiß”, ja wie „aus Marmor gebildet” auf dem Sterbebett gelegen habe, konnte man allenthalben lesen. 

Viele Nationen suchen Verkörperung in einer Frau. Anziehend, mütterlich und kraftspendend, verlangte die Nation, was sie zugleich versprach: Liebe, Schutz, Geborgenheit. Kriegerdenkmale des späten 19. Jahrhunderts zeigten weibliche Personifikationen in verführerischer Gestalt, galt es doch, Soldaten anzuspornen, ihr Blut fürs Vaterland zu geben, wie sie es für ihre Mutter oder Geliebte auch vergießen würden. Luise, zur „wahren Germania” allegorisiert, war die erste dieser Frauen.

Doch während die Königin zur Mutter der deutschen Wiedergeburt wurde und ihr Mausoleum zum ersten Denkmal des politischen Totenkultes, enttäuschten Friedrich Wilhelm III. und sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. die Hoffnungen auf Einigkeit und Recht und Freiheit. Zwar erklärte der Sohn der Königin noch 1849, die Einheit Deutschlands liege ihm am Herzen, sie sei das Erbe seiner Mutter, doch hinderte ihn das nicht daran, die ihm von der Frankfurter Paulskirche angetragene Kaiserkrone als „Schweinekrone” zurückzuweisen. Zu sehr hing der Geruch der Revolution an ihr. Historiker wie Johann Gustav Droysen mochten sich noch so eifrig darum bemühen, die Hohenzollern durch Beschwörung ihrer Ahnen von ihrer nationalen Berufung zu überzeugen. Aber auch die „borussianische Legende” um Friedrich den Großen konnte das Misstrauen der preußischen Könige gegenüber einer deutschen Kaiserwürde nicht schmälern.

Erst 1870 wendete sich das Blatt. Ein merkwürdiger Zufall der Geschichte wollte es, dass die französische Kriegserklärung, die den dritten Einigungskrieg einleitete, Preußen am 19. Juli erreichte, dem 60. Todestag Luises. Während Bismarck den Reichstag in Kriegstaumel versetzte, fuhr der greise König Wilhelm, der seinem kinderlosen Bruder 1861 auf dem Thron gefolgt war, zum Mausoleum seiner Mutter. Wie der Maler Anton von Werner die Welt später glauben machte, stand Wilhelm dort in stummer Andacht vor dem Bild der Frühverstorbenen, als ein Lichtstrahl auf ihr Haupt fiel, gleich so, als ob der Herrgott sie erwecken wollte. Der Allmächtige, so schien es, legte die Zügel von Wilhelms Schlachtross der Mutter in die Hand. Die Befreiungskriege gingen gleichsam in die zweite Runde, verkürzt auf eine Familienangelegenheit: die Rache des Sohnes an Napoleon III., dem Neffen des Mörders seiner Mutter. Der Krieg gegen Frankreich wurde zum Duell um die männliche und nationale Ehre.

Als Wilhelm I. am . Januar  in Versailles die ihm von den deutschen Fürsten angetragene Kaiserwürde annahm, war das Erbe seiner Mutter endlich vollendet. Ihr Leben über den Tod hinaus geriet zum Gründungsmythos des Deutschen Reiches sowie zur historischen Legitimation des preußischen Führungsanspruchs. Die bürgerliche Begeisterung für die „Preußenmadonna” kannte kein Halten mehr und setzte einen Kult in Gang, der in der deutschen Geschichte ohne Beispiel ist. Ungezählte Straßen und Plätze, Parks und Berge, Kirchen und Schulen, ja selbst Kriegsschiffe trugen den Namen der „edelsten Frau der deutschen Geschichte”. Ihr Todestag wurde als Königin-Luise-Tag zu einem Familienfest für Millionen, mit Kranzniederlegungen von Veteranenverbänden bis zu Frauenschwimmvereinen.

„Lerne weinen ohne zu klagen” Marlene Dietrich

Eine Königin verkörperte den Sieg des Bürgertums wie auch der Hohenzollernmonarchie, doch wich nach 1871 der einst progressive Gehalt ihres Mythos dem Erhalt von konservativen Werten. In Zeiten, in denen das Schreckgespenst der politischen Frau zu spuken begann, diente die Königin nicht etwa der Emanzipationsbewegung, sondern dem Gegenteil: einer starren Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Luise wurde immer häuslicher. Dass ihr Eingreifen in die Politik nur aus der Not geboren war, daß die „königliche Dulderin” aus nationalem Instinkt und Gefühl gehandelt hatte, nicht aus Verstand, lernten ganze Generationen in der Schule. „Lerne weinen ohne zu klagen”, schrieb die preußische Offizierstochter Marlene Dietrich kurz vor ihrem Tod 1992. „Königin Luise von Preußen schrieb dies auf der Flucht an die Wand.”

„Mehr als von der Verleumdung ihrer Feinde hat sie von der Phrasenhaftigkeit ihrer Verherrlicher zu leiden gehabt”, schimpfte Theodor Fontane, doch änderte das nichts an der Hochstimmung, die noch die Nationalsozialisten zu schüren verstanden. Als Luise jedoch 1945 im letzten und subtilsten Durchhaltefilm des Hitlerreiches, Veit Harlans „Kolberg”, vor die Deutschen trat, fehlte diesen längst die Kraft für Illusionen. „So wollen sie uns schmackhaft machen”, schrieb ein Zeitgenosse, „dass wir hier verheizt werden!” 

Die populärste aller Preußenköniginnen ist Luise bis auf den heutigen Tag geblieben. Unberührt von allen Kriegen, unbeschadet von der so anrührenden wie monströsen Verklärung ihrer Person, steht ihre Sarkophagfigur noch heute in Charlottenburg. Blumen liegen ihr zu Füßen.

Philipp Demandt
(Philipp Demandt ist Direktor des Städel Museums, der Schirn Kunsthalle und der Liebieghaus Skulpturensammlung)
F.A.Z., Ereignisse und Gestalten, Donnerstag, 06.11.2003, S. 10, NR. 258 © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

Völkerschlacht bei Leipzig oder die Helden des Ungehorsams

In der preußischen Armee gab es lange schon keinen Anlass mehr, ein Gloria auf die eigene Stärke auszurufen. Wie fast alle Gebiete Europas hatte Napoleon sich auch Preußen einverleibt und zu seinen Vasallen erklärt. So mussten 21.000 preußische Soldaten den französischen Kaiser 1812 auf seinem Russlandfeldzug unterstützen und sich mit ihm gegen den harten Winter geschlagen geben. Während Napoleon gezwungen war den Rückzug anzutreten, schloss der preußische Generalleutnant Yorck im Alleingang einen Waffenstillstand mit Russland und eine Allianz gegen Frankreich. Der militärisch wenig begabte König Friedrich Wilhelm III. war außer sich vor Wut über die Bevormundung und konnte nur mit Mühe dazu bewegt werden, die logischen weiteren Schritte einzuleiten, nämlich Frankreich den Krieg zu erklären. Damit setzte er sich endlich an die Spitze einer bereits aufstrebenden Widerstandsbewegung. 

Gemeinsam mit den Verbündeten Russland, Österreich und Schweden kam es im Oktober 1813 vor Leipzig zur bis dahin größten Schlacht der Weltgeschichte, nach der die Vernichtung Napoleons unaufhaltsam näher rückte. Innerhalb von nur drei Tage fielen hunderttausend Soldaten und konnten aufgrund der schlechten Versorgung nicht einmal bei geringeren Verletzungen gerettet werden. Da Geschichte aber von den Siegern und nicht von den Toten geschrieben wird, entwickelt sich die Schlacht zum nationalen Mythos. Sie beförderte Helden wie den General Friedrich Wilhelm von Bülow ans Firmament der deutschen Geschichtsschreibung (Lot 285). Schon im September hatte Bülow das Heer des gefürchteten französischen Marschalls Ney geschlagen und dadurch Berlin vor dem Einfall der Franzosen gerettet. In Leipzig traf er mit seinen Truppen als erster ein, nach dem Sieg zog er weiter gen Westen, besetzte Westfalen und eroberte, bzw. befreite Belgien und Holland.

„Es blies ein Jäger wohl in sein Horn, wohl in sein Horn, und alles was er blies das war verlorn.“ Achim von Arnim

Die vom Schriftsteller Achim von Arnim betitelte „Völkerschlacht“ lässt sich als politische Erweckung der deutschen Nation lesen. Bezeichnend dafür ist das Überlaufen der Sachsen, die bis dahin für Napoleon gekämpft hatten, zur preußischen Armee am dritten Tag der Schlacht. Endlich schloss man sich unter einer deutschen Gesinnung zusammen. Das Ende der Kleinstaaterei war damit leider noch nicht erreicht. Beim Wiener Kongress 1815 werden die Herrscher zu alten Verhältnissen zurückkehren und kein vereintes Deutschland gründen. Doch hier entstand eine Idee, das Aufflackern des Nationalstaatsgedankes, die dafür sorgte, dass das Blut der Völkerschlacht nicht das letzte war, das für die Gründung eines deutschen Staats floss.