Goethe und Hackert - Interview mit Hellmut Seemann
Hellmut Seemann, Direktor der Klassik Stiftung Weimar und Dozent an der Hochschule für Musik Franz Liszt, berichtet eindrucksvoll über die Entstehung zweier Werke Jacob Philipp Hackerts und welche Rolle der deutsche Dichter Goethe dabei spielte.
Blick auf das Arnotal und Fiesole
Claudia Nordhoff (Hrsg.): Jakob Philipp Hackert, Briefe (1761-1806). Göttingen 2012, S. 199.
Diese „Blick auf das Arnotal und Fiesole“ aus dem Jahr 1804 ist ein „bedeutendes Werk“ aus der späten Schaffensphase Jacob Philipp Hackerts, wie Claudia Nordhoff konstatiert hat. Es ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Zusammen mit der „Ansicht von Maddaloni“ (siehe Lot 1302) befindet es sich seit über 100 Jahren in einer Privatsammlung und ist lange Zeit nur durch zeitgenössische Dokumente bekannt gewesen. Zu diesen Dokumenten zählt die Korrespondenz Hackerts mit keinem geringeren als Johann Wolfgang Goethe. Das Werk besaß für den Künstler zudem eine große persönliche Bedeutung, denn beim Auftraggeber handelte es sich um einen guten alten Freund, den Engländer Sir John Francis Edward Acton (vgl. Abb. 1; zur Biographie Actons vgl. folgendes Lot). Schließlich ist die erste Fassung der Landschaft, für Großherzog Karl-August von Sachsen-Weimar-Eisenach gemalt, seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen. Die Komposition, von Goethe überschwänglich gelobt, hat sich somit nur in diesem Werk erhalten, ihm kommt entsprechend eine umso größere kunsthistorische Bedeutung zu (vgl. Gutachten Nordhoff; Nordhoff 2012, op. cit., S. 199).
Die Ansicht zeigt die Gegend nördlich von Florenz mit Blick auf Fiesole. Wie erwähnt malte Hackert zunächst eine Fassung für den Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. Nachdem Goethe das fertige Gemälde in Weimar mit Begeisterung in Empfang nimmt, berichtet Hackert ihm von seinem Vorhaben, eine zweite Fassung zu malen. Er werde „für Mr Ackton repetion machen, weil sie das Land Karakterisieren und er nahe bey florentz nichts Schöneres findet.“
Goethe’s poetische Umschreibung von Hackerts Gemälden
Goethe hat die erste Fassung im „Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung“ besprochen. Es lohnt, seine Beschreibung des Gemäldes zumindest in Teilen wiederzugeben: „Das […] Gemälde stellt die […] Gegend um Florenz dar; in blauer Ferne ragen Gebirgsgipfel von Massa Carrara hervor, näher der gegen Pisa und Livorno hin sich absenkende Theil der Appeninen. Rechts liegt Fiesole auf seinem luftigen Hügel, zur Linken die mit Landhäusern gekrönten Höhen bei Florenz, dazwischen die fruchtbare, vom Arno durchflossene Ebene gegen Prato und Pistoja hin […] man kann die zahlreichen Landhäuser, die Kirchen und Klöster alle wiedererkennen, jedem Pfad nachgehen, den Hügel von Fiesole besteigen, den Arno verfolgen…“
Eine bessere, poetischere Beschreibung von Hackerts Komposition als diese von Goethe lässt sich wohl schwerlich vorstellen. Der Dichter taucht förmlich ein in die Landschaft Hackerts und durchwandert sie noch einmal im Geiste. Mit seiner Beschreibung lässt er dabei ein verständiges, gebildetes Publikum in Deutschland Teil haben an seiner Bildbetrachtung, die mit den Erinnerungen an seine eigene italienische Reise zu verschmelzen scheint.
Claudia Nordhoff hat betont, dass die vorliegende Landschaft für John Francis Edward Acton keine bloße Replik darstellt, sondern als eigenständiges Werk anzusehen ist. Hackert hat an dieser Fassung einige Änderungen vorgenommen, mit denen er wohl auch auf eine Kritik Goethes reagierte. Goethe, auch in volkswirtschaftlichen Fragen kundig, hatte an der ersten Fassung moniert, Hackert habe zu viel Vieh im Vordergrund gemalt; diese gehörten in dieser Vielzahl nicht dorthin: „Denn die Gegend um Florenz ist vornehmlich ergiebig an Öl und Wein, ernährt hingegen nur wenig Vieh“ - eine Beobachtung, die der heutige Toskana-Reisende nach wie vor macht. Die Reduktion der Tierstaffage im Vordergrund war der Komposition in jedem Fall zuträglich. So wird in der vorliegenden zweiten Fassung die Weite der Landschaft, die - wie Goethe schreibt - einen Ausblick über das Arnotal bis zu den Bergen bei Massa Carrara erlaubt, besser erlebbar.
Abb. 1: Sir John Francis Edward Acton, Francesco Bartolozzi, nach/after Carlo Marsigli, Kupferstich/Stipple engraving © National Portrait Gallery, London
Ansicht von Maddaloni
Claudia Nordhoff (Hrsg.): Jakob Philipp Hackert, Briefe (1761-1806). Göttingen 2012, S. 199.
Diese „Ansicht von Maddaloni“ ist von Jacob Philipp Hackert 1805, im Jahr nach dem „Blick auf das Arnotal und Fiesole“ (vgl. Lot 1301) für Sir John Francis Edward Acton gemalt worden. Für dieses Gemälde gilt, was auch über die „Ansicht von Fiesole“ geschrieben worden ist. Ihre Bedeutung ergibt sich aus der freundschaftlichen Beziehung des Künstlers zum englischen Auftraggeber ebenso wie aus der Tatsache, dass die erste, für Großherzog Karl-Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach gemalte Version heute verschollen ist. Dieses Gemälde wurde gemeinsam mit dem „Blick auf das Arnotal und Fiesole“ über mehrere Generationen innerhalb der Familie des Auftraggebers vererbt und befindet sich seit über 100 Jahren in deutschem Privatbesitz, so dass ihre Existenz der Forschung lange Zeit nicht bekannt war.
Sieht man im „Blick auf das Arnotal und Fiesole“ eine toskanische Landschaft, so ist hier die Campagna im Süden Italiens dargestellt. Zu sehen ist die Ansicht von Süden auf den Ort Maddaloni am Fuß des Monte Michele bei Caserta, wo sich das königliche Schloss befand und Hackert 14 Jahre als Hofmaler Ferdinands IV. tätig war. Es handelt sich auch hier um ein „Landschafts-Portrait“ (Nordhoff), so lassen sich die Kirchen und Türme von Maddaloni auf dem Gemälde identifizieren. Auch hier durchzieht ein Fluss, wohl der Fosso dell´Aia, die Landschaft. Die Wassermühle am Fluss und die Viehherde im Vordergrund zeugen von der Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit der Gegend und evozieren ein arkadisches Idealbild Italiens.
Italien - stetige Inspiration für Jacob Philipp Hackert
Caserta und Florenz, Toskana und die Campagna - diese beiden geographischen Bezugspunkte waren für den Maler wie für den Auftraggeber, für Hackert wie für Acton von großer persönlicher Bedeutung. Jacob Philipp Hackert, der deutsche Künstler aus Prenzlau, war seit 1786 Hofmaler König Ferdinands IV. von Neapel gewesen; im Jahr 1799, nach dem Einmarsch der Franzosen, verließ er Neapel und siedelte nach Florenz über, wo er auch diese Landschaft malte. Sir John Francis Edward Acton, in Lyon geboren, durchlief eine bemerkenswerte politische Karriere an zwei italienischen Höfen. Er war zunächst in Diensten Großherzog Leopolds der Toskana und bekleidete später hohe Posten am Neapolitanischen Hof Ferdinands IV. bis hin zu dem des „Primo Ministro“. Nach dem Einmarsch der Franzosen zog sich Acton mit dem König nach Sizilien zurück.
Am Hof Ferdinands IV. freundeten sich Hackert und Acton an. Sie trafen sich regelmäßig am Hofe, wie wir von Berichten Reisender wissen, Hackert widmete Acton Raderungen, und sie durchwanderten sicherlich auch gemeinsam die Gegend um Caserta, deren Schönheit sie gleichermaßen schätzten. Hackert und Acton waren Vertreter einer kosmopolitischen europäischen Elite, die eine glanzvolle internationale Karriere absolvierten, wie sie die höfische Kultur dieser Zeit ermöglichte - es lag nahe, dass sie sich am königlichen Hof befreundeteten.
John Acton plante eigentlich, sich am Ende seiner politischen Laufbahn auf seinen englischen Landsitz zurückzuziehen. Hackerts Ansichten von Fiesole und Maddaloni waren als Erinnerungen an seine erfüllten Jahre in Italien gedacht, sie sollten „die Zierde eines seines Saals in England sein“, wie Hackert an Goethe schrieb (eine dritte Landschaft wurde nicht ausgeführt). Für Hackert war der Auftrag seines alten Freundes, die Landschaften in der Toskana und Campagna festzuhalten, die ihm selbst so viel bedeuteten, sicherlich eine Herzensangelegenheit.
Die „Ansicht von Maddaloni“ wie auch der „Blick auf das Arnotal und Fiesole“ sind, wie Claudia Nordhoff konstatiert hat, „von höchster Bedeutung in Hackerts Spätwerk“. Sie sind „Meisterwerke Hackerts“, die seinen „Ruf als bester Landschaftsmaler seiner Zeit vollauf“ (Nordhoff) bestätigen. Sie sind zudem bildliche Zeugnisse einer Epoche - oftmals als „Goethe-Zeit“ bezeichnet - in der Künstler, Politiker, Fürsten und Schriftsteller sich über Grenzen der Herkunft und des Ranges, der Sprache und der Kultur hinweg gleichermaßen für die Schönheit Italiens begeisterten.