Kaiserzeit (1871–1918)

Anlässlich der Preußen Auktion haben wir die Zeit zwischen 1701 und 1918 in Kapitel unterteilt, in denen wir die Akteure, Kommentatoren und Stilrichtungen vorstellen. Lassen Sie sich überraschen!

Es hätte wohl keinen größeren Triumph für Reichskanzler Otto von Bismarck geben können, als im Barockschloss von Versailles, dem Symbol französischer Überlegenheit, am Schreibtisch zu sitzen und die Erhebung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser zu besiegeln. Der Letzte, den Bismarck überzeugen musste, war ironischerweise der erkorene Kaiser selbst. Die Erhöhung des monarchischen Rangs muss Friedrich Wilhelm IV. wie ein fauler Trick vorkommen sein, schließlich folgte darauf ein Ausbau der Demokratie. Am selben Tag trat nämlich die neue Bundesverfassung in Kraft, welche erst von den föderalen Parlamenten bestätigt werden musste. Aus seiner demokratiefeindlichen Sicht heraus hatte er „die glänzende preußische Krone gegen eine Schmutzkrone vertauschen müssen.“

„Der junge Herr wird uns noch vor manches Rätsel stellen” Helmuth Karl Bernhard von Moltke

Sein Enkel, der 1888 im „Dreikaiserjahr“ gekrönte Kaiser Wilhelm II., hatte im Vergleich dazu eine sehr viel optimistischere Vorstellung davon, was es bedeutete, die Kaiserwürde zu verkörpern. Dazu zählte neben Kriegsflotte und imperialem Imponiergehabe auch das Herauskehren der germanischen Vergangenheit, deren Triumphe konsequent im deutschen Kaiserreich zu gipfeln hatten. Keine leichte Aufgabe bei einer Nation, die erst 1871 einheitlich „deutsch“ getauft worden war. Zur Unterstützung dieser Nationenbildung schossen auf den Befehl Wilhelm II. kolossale, von weit her sichtbare Denkmäler aus dem Boden. Sie orientierten sich an der Renaissance oder an der mittelalterlichen Architektur der Staufer. Eines der pompösesten ist das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig, das von Kaiser Wilhelm II. hundert Jahre nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon eingeweiht wurde. In der Krypta des 96 Meter hohen Kuppelbaus wachen vier Totenwächter und stehen für die vermeintlich deutschen Tugenden: Tapferkeit, Glaubensstärke, Volkskraft und Opferbereitschaft. Stauferkult und wilhelminischer Barock finden weiterhin Ausdruck in Gebäuden wie dem Berliner Dom, der auf Überwältigungsarchitektur „von oben“ setzte. Gleichzeitig etablierte sich in der breiten Masse der Stil der Gründerzeit. 

Durch französische Reparationszahlungen nach 1871 und der Industrialisierung erlebte das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung. Auf die neu gegründeten Unternehmen folgten zahlreiche Profanbauten, deren Gestaltung mit Zinnen, Giebeln und Türmchen auf die Renaissance oder mit aufwändigen Stuckfassaden auf den Barock zurückgriffen. Auch im Design von Tafelobjekten fand der preußische Historismus seinen Ausdruck: Die vier Salièren aus dem Hochzeitsservice für Prinz Wilhelm und Auguste Viktoria von 1881 mit ihren Delfinmasken sind ein Beispiel dafür (Lot 294). Ebenso entstand der Ehrenpreis des Prinz Friedrich Leopold Jagdrennens in Anlehnung an eine mittelalterliche Pilgerflasche (Lot 309). Eine kleine Sensation ist die „Phryne“ von Reinhold Begas (Lot 290): Begas war einer der berühmtesten Vertreter des neobarocken Stils in Berlin, bekannt für die Sinnlichkeit seiner Skulpturen.

„Wir sind keine Barock-Menschen und leben nicht in der Renaissance. Warum sollten wir so tun, als ob es so wäre?” Hermann Bahr

Parallel dazu entwickelte sich um die Jahrhundertwende eine dem Historismus radikal entgegensetzte Kunstrichtung: der Jugendstil. Er war die Antwort einer auf die Moderne zustrebenden Gesellschaft, die schneller die feudalen Strukturen sprengte, als der Kaiser gucken konnte. „Wir sind keine Barock-Menschen und leben nicht in der „Renaissance“. Warum sollten wir so tun, als ob es so wäre?“ schrieb der deutsch-österreichische Schriftsteller Hermann Bahr, womit sich erklärt, warum es jetzt vor allem darauf ankam etwas Neues zu schaffen, das der eigenen Zeit entsprach. Voraussetzung dafür war, dass man formal und ideologisch begann, Hierarchien außer Kraft zu setzen. Das Objekt steht im Kontext des Gesamtkunstwerks, eine Vase ist ebenso bedeutend wie die Gestaltung eines Raums, eines Gemäldes, eines Möbels. Das Ergebnis dessen zeigt sich schon in der Form einer Vase zum Beispiel bei der Theodor Schmutz-Baudiss zugeschriebenen Vase (Lot 297). Man begann, die Gleichrangigkeit zwischen Hoher Kunst und gewerblich erzeugten Kunstobjekten zu akzeptieren und zu genießen. Der neue Stil bestimmte auch den Ehrenpreis der Herren-Distanzfahrt Berlin-Totis von 1899 (Lot 310).

Ob Jugendstil, Impressionismus, Expressionismus, Kubismus – im ersten Jahrzehnt des . Jahrhunderts explodierten die Stile und alle erzählen davon, dass durch den technologischen Fortschritt, die Erfindungen Elektrizität, Dampfmaschine, Eisenbahn, eine neue Zeit mit einem neuen Menschenbild angebrochen war. Zwei Werke Heinrich Zilles bilden den Schluss dieses Kapitels: Die „weiblichen Schornsteinfeger und Uniformierten“ (Lot 342) sind keineswegs getragen vom Gedanken der beruflichen Gleichstellung von Mann und Frau. Sie dokumentieren Frauen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, die zwangsläufig Männerberufe übernehmen mussten. Und das Bild „Kartoffelstehen“ von 1916 (Lot 343) erinnert eindrücklich an die schwierige Versorgungslage der „Heimatfront“.