Ein kaiserlicher Schreibtisch von David Roentgen

Dieser hochelegante Schreibtisch, von allen Seiten mit prächtigen Maserfurnieren und goldbronzenen Beschlägen dekoriert, so dass er zentral und freistehend aufgestellt werden konnte, gehört zu einer Gruppe an Schreibmöbeln, die David Roentgen erst in den 1780ern entwickelt. Mit einer Betonung des klaren, architektonischen Aufbaus durch die Verwendung elegant gemaserter Furniere statt aufwendiger Marketerien, sowie dem gezielten Einsatz feinster goldbronzener Beschläge zur Akzentuierung der Façade, repräsentiert dieses Möbel die Zeit, in der Roentgen nicht nur erfolgreich an den französischen Königshof lieferte, sondern vor allem mit Sendungen an den Zarenhof in St. Petersburg Aufsehen erregte, die nicht nur an Qualität, sondern auch an Quantität unübertroffen blieben.

Neben unterschiedlichen Versionen solcher bureaux à gradin, die in den 1780ern aus Neuwied nach St. Petersburg transportiert wurden und von denen heute noch eine Reihe in der Eremitage sowie im Palastmuseum Pawlowsk erhalten sind, war auch Roentgens wohl aufwendigster Flachschreibtisch mit Aufsatz, der als Schreibtisch für die Zarin Katharina II von Russland bestimmt war, Teil der Lieferung von 1786. Auch das nahezu identische Gegenstück zu dem hier präsentierten Schreibtisch, heute im Bayerischen Nationalmuseum und 2012–13 in der grandiosen Roentgen-Ausstellung am New Yorker Metropolitan Museum gezeigt, war vermutlich ursprünglich Teil von Roentgens aufsehenerregender Möbellieferung nach St. Petersburg.

Aus der berühmten Sammlung des Grafen Alexander Stroganoff, der Roentgens Möbel sicher schon in der zweiten Hälfte der 1770er kennenlernte, als er selber in Paris lebte, wurde das Möbel 1931 von der Sowjetregierung über das Berliner Auktionshaus Lepke in den Westen verkauft und konnte 1977 für das Bayerische Nationalmuseum gesichert werden. Die zwei Schreibtische sind nicht nur von praktisch identischen Proportionen, sie weisen auch dieselbe raffinierte Mechanik auf. Nach Hervorziehen der Schreibplatte und dem damit verdeckt verbundenen Öffnen der Jalousie der quer sitzenden ‚Cartonnier‘, können die rechts und links innen liegenden Schübe durch Zug an verborgenen Hebeln ausgelöst werden. Diese wiederum öffnen nicht nur die zwei seitlichen Schübe, sondern über Federmechanismen gleichzeitig auch zusätzliche, darin verborgende Kästchen, die frontal hervorspringen. Auch im Aufsatz, seitlich der Cartonnier, springen auf Knopfdruck zwei weitere Schübe hervor, von denen der Rechte zur Aufnahme von Schreibwerkzeug ausgerüstet ist. Die immer wieder beeindruckende Vorführung dieser raffinierten und vor allem verborgenen Mechanismen war — und bleibt — dem stolzen Besitzer vorbehalten, der mit einem einzigen Schlüssel das Möbel verriegeln, aber auch „zum Leben erwecken“ kann.

Von König Ludwig XVI. und Marie-Antoinette zum ébéniste-mécanicien du Roi et de la Reine ernannt und von König Friedrich Wilhelm II. von Preußen gar zum ‚Geheimen Rat‘, war Roentgen in den 1780ern an europäischen Höfen ein bekannter Markenname. Er hatte mit seinen streng klassizistischen Entwürfen Maßstäbe gesetzt und mit ihren klaren architektonischen Linien waren seine Möbel international wiedererkennbare Luxusprodukte. Die Zusammenarbeit mit Spezialisten wie dem „Mechanikus“ und Uhrmacher Peter Kinzing, erlaubte es ihm seine Möbel mit ausgeklügelten Mechanismen, raffiniert verborgenen Geheimfächern und technischen Überraschungen auszurüsten, die zuerst ihre königlichen und fürstlichen Besitzer beeindruckten und die diese dann wiederum ihren staundenden Besuchern vorführen konnten.

Johann Wolfgang von Goethe, der Roentgen persönlich kannte und schätzte, schreibt in „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ bewundernd: „Wer je einen künstlichen Schreibtisch von Röntgen gesehen hat, wo mit einem Zug viele Federn und Ressorts in Bewegung kommen, Pult und Schreibzeug, Brief- und Geldfächer sich auf einmal oder kurz nacheinander entwickeln, der wird sich eine Vorstellung machen können, wie sich jener Palast entfaltete, in welchen mich meine süße Begleiterin nunmehr hineinzog.“

Genaue Details dazu, wann dieser Schreibtisch in den Besitz von Kaiser Wilhelm II. gelangte und wann dieser ihn wieder verkauft haben könnte sind leider nicht bekannt. Der Kaiser wird natürlich den großen Flachschreibtisch mit Aufsatz, den Roentgen 1789 persönlich seinem Ur-Ur-Großvater, König Friedrich Wilhelm II von Preußen lieferte, und der dem oben erwähnten „Katharinenpult“ in St. Petersburg ganz ähnlich ist, gut gekannt haben. Bei der erstklassigen Sammlung an Roentgenmöbeln im Besitz des Hauses Hohenzollern wird es nicht schwer gewesen sein, auch beim letzten deutschen Kaiser und König von Preußen eine Begeisterung für Roentgens klassischen Stil und die technischen Raffinessen seiner Möbel zu wecken. Wie eine Reihe anderer Prunkstücke aus Roentgens Neuwieder Manufaktur stand auch der königlich preußische Schreibtisch bis in die 1940er im Berliner Schloss, ging aber leider in den Wirren des zweiten Weltkrieges verloren. Nach Überlieferung der früheren Besitzer dieses Schreibtisches verkaufte ihn der Kaiser kurz nach dem ersten Weltkrieg, d.h. vermutlich schon aus seinem Niederländischen Exil auf Huis Doorn. Ob das Möbel aus Hohenzollernbesitz stammte, oder ein persönlicher Kauf war ist ebenfalls unklar. Händler und Vermittler werden dem Kaiser sicher gelegentlich wertvolle Kunstobjekte direkt angeboten haben, aber Berlin bot mit einem regen Kunsthandel eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten. Die deutsche Hauptstadt war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Kunsthandelsplatz von internationaler Bedeutung, Rudolph Lepke’s Kunst- und Auktionshaus zB. investierte 1912 in einen beeindruckenden fünfstöckigen Neubau. Die genauen Umstände des vermuteten kaiserlichen Besitzes dieses Möbels bleiben leider derzeit noch unbekannt. Es ist gut möglich, dass dieser Schreibtisch in den ersten Jahren des letzten Jahrhunderts schon einmal auf dem Kunstmarkt auftauchte und damals auch Wilhelm II beeindruckte — dieses Möbel ist zweifellos eines Kaisers würdig!

Autor: Marcus Rädecke

 

Literatur

Joseph Maria Greber, Abraham und David Roentgen, 1980, Bd. 1, S. 248 und Bd. 2, Abb. Kat 704. Eremitage Museum, St Petersburg (Inv. EPR-5.090).

Wolfram Koeppe, Extravagant Inventions: The Princely Furniture of the Roentgens, 2012, Kat. 56, S. 186–187.

Dietrich Fabian, Abraham und David Roentgen, 1996, S. 86, Kat. 185. Bayerisches Nationalmuseum (Inv. L 75/222).