Guilty Pleasures

Julia Stoschek

Manchmal werde ich gefragt, welche guilty pleasures ich hätte. Pistazieneis gehört in jedem Fall dazu – auch wenn ich mich, seit ich erwachsen bin, deutlich zurückhalte. In meiner Kindheit konnte ich nicht genug davon bekommen. Zu meinen guilty pleasures gehört aber auch Porzellan. Während man beim Eisessen an heißen Sommertagen Kühlung findet und an verregneten Sonntagnachmittagen Trost, kann Porzellan ein Kunstwerk von ewiger Dauer sein.

Es hat mich schon immer fasziniert, wie aus derart feinen Werkstoffen wie gebranntem Kaolin, Feldspat und Quarz etwas entstehen kann, das die Leichtigkeit von Pistazieneis zu haben scheint und doch für die Ewigkeit Bestand hat. Meine erste Erinnerung an Porzellan stammt aus meiner Kindheit: Die Regale im Porzellanschrank meiner Mutter brachen auf einmal zusammen, einfach so, keiner konnte etwas dafür. Ich vermute, dass die Bretter der stetig wachsenden Menge an Porzellan einfach nachgegeben haben. Es gab einen Riesenkrach und endlos viele Scherben lagen plötzlich auf dem Boden. Meine arme Mutter war am Boden zerstört, aber ich fand durch dieses Schlüsselerlebnis seltsamerweise zu diesem besonderen Kunsthandwerk.

Über die Jahre festigte sich meine Leidenschaft, insbesondere für die Manufakturen aus Deutschland: Meissen, KPM, Nymphenburg, Hutschenreuther oder Rosenthal. Sie und viele mehr veranlassten mich zur Sammlerin zu werden. Bei den Figuren konzentriere ich mich auf Tiere und Tänzerinnen, am besten beides zusammen! Wichtig, und darauf kommt es wirklich an: Das Gesicht der Figur sollte sorgfältig ausgearbeitet sein. Für mich gehören zwei Gestalter*innen zu den unerreichten Koryphäen der Porzellankunst: der im 18. Jahrhundert verstorbene Johann Joachim Kändler und die nicht hoch genug zu schätzende Marguerite Friedländer, die für mich die beeindruckendste Bauhaus Porzellanmodelleurin ist. Der Inbegriff des guilty pleasures? Pistazieneis aus einem hauchfeinen Porzellanschälchen.

Julia Stoschek hat eine der weltweit größten Privatsammlungen für zeitbasierte Kunst. 2002 gründete sie die JULIA STOSCHEK COLLECTION mit Fokus auf Werken aus den Bereichen Video, Film und Digitalkunst von internationalen Künstler*innen seit den 1960er Jahren. Seit 2007 ist die Sammlung durch Einzel- und Gruppenausstellungen in Düsseldorf für die Öffentlichkeit zugänglich. 2016 eröffnete ein zweites Ausstellungshaus in Berlin Mitte. Neben ihrer Tätigkeit als Sammlerin, unterstützt Julia Stoschek Institutionen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen bei der Realisierung von Projekten im Bereich zeitbasierter Kunst und engagiert sich in Gremien internationaler Institutionen. Sie ist unter anderem im Vorstand des KW Institute for Contemporary Art, Berlin, Mitglied des Board of Trustees am MOCA, Los Angeles, in der Ankaufskommission der Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, und Teil des Performance Committee des Whitney Museum of Modern Art, New York. Aktuelle Ausstellungen: A FIRE IN MY BELLY, JSC Berlin (bis 12.12.2021); JSC ON VIEW: MYTHOLOGISTS, JSC Düsseldorf (bis 19.12.2021); JEREMY SHAW: QUANTIFICATION TRILOGY, JSC Düsseldorf (bis 19.12.2021). Öffnungszeiten: www.jsc.art