Julia Margaret Cameron war ihrer Zeit voraus: Nicht nur feierte sie als Hausfrau und Mutter große Erfolge als Fotokünstlerin, es gelang ihr auch, mit träumerischen Bildern längst vergangene Gestalten aus Geschichte, Märchen und Mythos in ein neues Leben zu rufen.
(...) WeiterlesenErst im reifen Alter fand Julia Margaret Cameron zur Fotografie
Julia Margaret Cameron wurde am 11. Juni 1815 in Kalkutta geboren – ein Umstand, den sie der Tätigkeit ihres Vaters als leitender Angestellter der East India Company verdankte. Ihre Jugend verbrachte sie allerdings bei ihrer Großmutter in Versailles. Zur Fotografie fand sie erst als Ehefrau und Mutter: Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn schenkten ihr im Dezember 1863 eine Kamera, damit sie in ihrem abgeschiedenen Heim in Freshwater Bay auf der Isle of Wright eine Beschäftigung hätte. Da war Julia Margaret Cameron bereits 48 Jahre alt, Mutter von sechs Kindern, tief religiös und sehr belesen. Außerdem pflegte sie Umgang mit einigen der herausragendsten Denkern Englands, darunter die Dichter Alfred Lord Tennyson, Henry Taylor und Robert Browning. Während ihr Mann, der zwanzig Jahre ältere Jurist Charles Hay Cameron, sich um die Kaffeeplantagen kümmerten und die Kinder zur Schule gingen oder schon ausgezogen waren, hatte Julia Margaret Cameron reichlich Muße, sich ihrer neuen Leidenschaft zu widmen.
Familie, Freunde und Dienstboten wurden zu legendären Gestalten
Julia Margaret Cameron entdeckte mit der Fotografie eine neue Welt. Nicht nur gab es damit etwas, das sie mit den zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten verband, die ihren Urlaub auf der Isle of Wright verbrachten; sie entwickelte auch ein Gespür für völlig neuartige Bildkompositionen. Dimbola Lodge, das Anwesen ihrer Familie, wurde zu einem Dreh- und Angelpunkt der Gesellschaft, die Großen und Kleinen der Gesellschaft gingen bei der Künstlerin ein und aus, ihr gastfreundliches und mütterliches Wesen wurde von jedermann geschätzt. So mangelte es Julia Margaret Cameron nicht an Modellen, die sie aber bald nicht mehr einfach nur porträtierte, sondern in immer neue Rollen aus Geschichte, Literatur und Legende dirigierte. So inszenierte sie Guineveres Abschied von Lancelot und andere Motive nach Tennysons epischem Gedichtzyklus Idylls of the King. In ihrer Leidenschaft ging Cameron mitunter so weit, dass der ebenfalls betroffene Tennyson die beklagenswerten Modelle scherzhaft als Opfer titulierte. Waren ihr Familie und Freunde beizeiten entflohen, wurde kurzerhand das Dienstmädchen von der Hausarbeit befreit und musste stundenlang als Jungfrau Maria posieren.
Mit vielen Improvisationen zu romantisch-verträumten Bilderwelten
Julia Margaret Cameron profitierte bei ihrer künstlerischen Arbeit von ihrer hohen Allgemeinbildung, die sie zuvorderst ihrer Belesenheit verdankte. Mehr zu kämpfen hatte sie mit den technischen Schwierigkeiten, die das noch junge und unentwickelte Medium der Fotografie mit sich brachte. Entsprechend kritisch fielen die ersten Urteile zu ihrem handwerklichen Vermögen aus, während ihre Motivwahl schon früh großen Beifall hervorrief. Cameron gab nicht auf und eignete sich mit viel Mühe und Sorgfalt alle Kenntnisse an, die sie benötigte. Dabei wurde sie nach Kräften von ihrer Familie unterstützt: Ihr Mann posierte nicht nur bereitwillig als Zauberer Merlin, sondern begutachtete auch als Erster jedes neue Bild; sein enthusiastischer Beifall ermutigte die Künstlerin, ihr Werk fortzusetzen. Die Kinder wiederum verzichteten auf ihr morgendliches Frühstücksei, denn der Hühnerstall wurde zum Atelier und der Kohlenkeller zur Dunkelkammer. Es sei schlicht ihr Bestreben gewesen, alles Schöne, das ihr begegne, mit der Kamera festzuhalten, stellte Cameron in ihrer postum erschienenen Autobiografie fest. Sicher eine Untertreibung – denn vieles von dem Schönen und Geheimnisvollen, das ihre Bilder zeigen, entstand erst durch die Schöpferkraft einer außergewöhnlichen Künstlerin.
Julia Margaret Cameron starb am 26. Januar 1879 in Kalutara, damals Ceylon, heute Sri Lanka. Die Schriftstellerin Virginia Woolf war ihre Großnichte.
Julia Margaret Cameron - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: