Geneviève Claisse

Geneviève Claisse wurde am 17. Juli 1935 in Quiévy, Nord-Pas-de-Calais, Frankreich geboren. Im Alter von 18 Jahren ging sie nach Paris und besuchte dort kurzzeitig die renommierte École des Beaux-Arts, eignete sich ihre künstlerischen Fähigkeiten aber weitgehend als Autodidaktin an. Durch die Lektüre der Kunstzeitschrift Art d'aujourd'hui, die sich der Geometrischen Abstraktion widmete, fand Geneviève Claisse bereits als 19-Jährige zu der geometrisch abstrakten Bildersprache, die ihr gesamtes Werk maßgeblich prägte. Die ersten Erfahrungen als Künstlerin sammelte sie seit 1959 als Assistentin im Atelier ihres berühmten Großonkels Auguste Herbin (1882–1960), der als Meister der klassischen Moderne selbst zukunftsweisende Positionen in der Malerei vertrat und als einer der Pioniere des französischen Konstruktivismus gefeiert wird. Herbin zeigte sich von Talent und Kunstverständnis seiner Verwandten stark beeindruckt und bezeichnete sie als seine »vom Schicksal bestimmte Nachfolgerin«. Ein von Geneviève Claisse verfasster Werkkatalog, der die Skulpturen und Gemälde Herbins zusammenfasste (Catalogue raisonné de l'oeuvre peint), findet heute noch als unverzichtbares Standardwerk in vielen Galerien, Museen und Auktionshäusern Verwendung.

Geneviève Claisse schuf zunächst lyrisch geprägte Abstraktionen mit einer sehr dramatischen und lebhaften Flächenkolorierung. Auf diese folgten umfangreiche Experimente mit Dreiecken und Kreisen, die sie als unabhängige und überlappende Formen in betont schlicht gehaltenen Kompositionen darstellte und durch verschiedene Farbtöne veränderte und dynamisierte. Es sind neben der Farbe vor allem Form und Positionierung, die auf Geneviève Claisses Bildern energetische Spannungen erzeugen. Bei allen ihren Arbeiten ließ die Künstlerin größtmögliche Sorgfalt walten, um mit minutiöser Präzision das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Später entfernte sie sich von den leuchtenden Farben, die sie zum Beispiel in ihrer Serie Cercle Relief Rouge (1971–1975) verwendete, und setzte zunehmend auf schwarze Konturen vor einem weißen Hintergrund.

Geneviève Claisse war von Anfang überzeugt, dass es für sie keine Alternative zur gegenstandlosen Kunst geben konnte. Neben ihrem Großonkel Herbin waren es vor auch die Schriften von Wassily Kandinsky, die sie auf ihrem Weg zur Abstraktion bestärkten. Wie Herbin und Kandinsky war auch Claisse davon überzeugt, dass allein die Kunst mit Hilfe von Form und Farbe das Nichtsagbare zum Ausdruck bringen konnte, wenngleich sie die Vorstellung einer Kunstsprache nicht im selben literalen Sinne und weniger absolut verstand als ihre Vorgänger. Für ihre Kunst erhielt Geneviève Claisse Preise und Auszeichnungen, unter anderem wurde 1965 ihr Beitrag zur Biennale in Venedig gewürdigt und 1994 erhielt sie den Élie-Faure-Preis. Von 1986 bis 1995 repräsentierte sie ihr Heimatland Frankreich bei der Internationalen Kunstvereinigung (UNESCO).

 

Geneviève Claisse starb am 29. April 2018 in Dreux, Département Eure-et-Loir, Frankreich.