Walker Evans war der Fotograf, der gerne Schriftsteller geworden wäre. Wie kein anderer benutzte er seine Kamera als Feder, um eine große Erzählung seiner Heimat zu schreiben. Dabei gelang dem US-amerikanischen Fotokünstler das, was er selbst »lyrische Dokumentation« nannte: eine Erschließung des amerikanischen Alltags für das kollektive Bildgedächtnis in der Sprache von Kunst und Kultur.
(...) WeiterlesenWalker Evans – Der Weg zum Schriftsteller führte zur Fotografie
Walker Evans wurde am 3. November 1903 in Saint Louis, Missouri geboren. Er stammte aus begüterten Verhältnissen, besuchte eine Privatschule und konnte es sich erlauben, sein früh erwachtes Interesse an der Literatur zu pflegen. Um seine angestrebte Schriftstellerkarriere voranzutreiben, reiste er 1926 nach Paris und schrieb sich an der berühmten Sorbonne ein. Walker Evans beschäftigte sich intensiv mit den Werken von Charles Baudelaire und Gustave Flaubert, außerdem zeigte er eine Vorliebe für James Joyce. Obwohl Walker Evans seinen Wunsch, Schriftsteller zu werden, nach seiner Rückkehr in die USA aufgab, hörte die Literatur nie auf, sein Leben und vor allem seine langjährige Tätigkeit als Fotograf zu beeinflussen. Das Fotografieren eignete sich Evans als Autodidakt an, dabei orientierte er sich zunächst an den Arbeiten des Bauhauses und der Russischen Avantgarde. Bei der Motivsuche beschränkte er sich von Anfang an auf New York, wobei sich das alltägliche und oft ärmliche Leben auf den Straßen schnell als bevorzugtes Sujet herauskristallisierte.
Die Dokumentarfotografie wurde zur Berufung
Walker Evans selbst verdiente anfangs kaum genug, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er arbeitete die Nächte durch und fotografierte am Tag; seine Frau musste für die Miete aufkommen. Ausgerechnet die Literatur ebnete ihm den Weg: Seine frühe Bilderserie über die New Yorker Brooklyn-Brücke erschien in dem Gedichtband The Bridge von Hart Crane, über seine Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Lincoln Kirstein traf er die amerikanische Fotografin Berenice Abbott, die ihm wiederum das Studium originaler Werke des französischen Fotografen Eugène Atget ermöglichte, und wieder schließlich war es Kirstein, der Evans' erste Beteiligung an einer Fotoausstellung im renommierten Museum of Modern Art in New York vermittelte – an der Seite von Künstlern wie Ralph Steiner und Margaret Bourke-White. Walker Evans setzte sich schriftlich mit dem Werk von Walter Benjamin auseinander, war mit den Arbeiten deutscher Fotografen wie August Sander und Albert Renger-Patzsch vertraut, kannte die deutsche Neue Sachlichkeit und kam über die von Kirstein angestoßene Beschäftigung mit den bedeutenden amerikanischen Dokumentaristen Lews Hine und Mathew B. Brady schließlich selbst zur Dokumentarfotografie.
Die ungekünstelte Ästhetik der Unmittelbarkeit
Walker Evans beeindruckt bis heute durch seinen unmittelbaren Zugriff auf den amerikanischen Alltag. Dabei verzichtete er auf jede Ästhetisierung, insbesondere auf die in der Kunstfotografie oft gepflegte Annäherung an die Sprache der Malerei, getreu seinem Motto, das er auf einen Zettel schrieb und an seinen Spiegel klebte: Don't be arty. Er fotografierte, was nicht fotografierenswert schien: Die konturlose Architektur der Großstadt, die Symbole des Kommerzialismus, die Peripherie der Gesellschaft. Die Kombination aus innerer Distanz und intellektueller Präzision führte dabei zu einer neuen, ungekünstelten Form der Ästhetik, mit der Walker Evans die Fotografie binnen weniger Jahre grundlegend revolutionierte. Sternstunde seines Werkes und Fundament seines Ruhmes stellt die kompromisslose fotografische Dokumentation der Weltwirtschaftskrise dar, die ausgerechnet im Auftrag der Farm Security Administration entstanden waren – im Auftrag der Regierung also, aber in großer künstlerischer Unabhängigkeit, die Evans sich ausbedungen hatte. Seine Porträts der von Armut und Entbehrung gezeichneten amerikanischen Landbevölkerung wurden zu Ikonen der Fotografiegeschichte.
Walker Evans starb am 10. April 1975 in New Haven, Connecticut.
Walker Evans - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: