Natalia Goncharova wollte erst Bildhauerin werden
Natalia Goncharova (auch: Natalja Sergejewna Gontscharowa) wurde am 16. Juni 1881 im Gouvernement Tula im Kaiserreich Russland geboren und teilt sich damit das Geburtsjahr mit Künstlern wie Pablo Picasso (1881–1973), Fernand Léger (1881–1955) und ihrem Landsmann und späteren Geliebten Michail Larionow (1881–1964). Sie war die Tochter eines Architekten und die Urenkelin des russischen Nationaldichters Alexander Puschkin (1799–1837) und wuchs in einem kultivierten Umfeld auf, das eine politisch liberale Gesinnung pflegte. Natalia Goncharova folgte dem Vorbild ihres Vaters und besuchte die Moskauer Hochschule für Malerei, Bildhauerei und Architektur. Dort begegnete sie Michail Larionow, der ihr lebenslanger Wegbegleiter wurde. Auf seinen Rat hin gab sie die Bildhauerei auf und wandte sich der Malerei zu. Natalia Goncharova zeigte ihre Bilder 1906 auf dem Pariser Herbstsalon (Salon d'Automne), schloss sich dem Blauen Reiter in München an und nahm an dem von Herwarth Walden (1878–1941) initiierten Ersten Deutschen Herbstsalon 1913 in Berlin teil.
Experimente führten zu Kubofuturismus und Rayonismus
Natalia Goncharova gründete mit Michail Larionow die avantgardistische Künstlergruppe »Karo-Bube«, die über zwei Jahrzehnte hinweg maßgeblichen Einfluss auf die russische Kunstszene nahm. Goncharova selbst gehörte dem Zusammenschluss allerdings nur kurz an und initiierte, wieder mit Larionow, stattdessen die ebenfalls avantgardistisch orientierte Gruppe »Eselsschwanz«, zu der bald auch Marc Chagall (1887–1985), Kasimir Malewitsch (1879–1935) und Wladimir Tatlin (1885–1953) gehörten. Aber auch hier fühlte sich Natalia Goncharova mit ihren Ambitionen schnell fehl am Platze. Eng verbunden war Goncharova der literarischen Avantgarde Russlands: Für die Futuristen illustrierte sie mehrere Bücher und der futuristische Autor Ilja Schdanewitsch verfasste die erste Monografie über die Künstlerin. Durch die Verbindung von futuristischen und kubistischen Elementen wurde der Grundstein für den Kubofuturismus gelegt. Mit ihrem Lebensgefährten Larionow entwickelte sie aus diesen Wurzeln den Rayonismus, bei der es in Anlehnung an die spezielle Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879–1955) darum ging, die Dimension des Lichtes, die vierte Dimension, durch die bildende Kunst sichtbar zu machen.
Erfolge mit Bühnenbildern und Ballettkostümen
Natalia Goncharova konnte 1913 als erste Frau in Russland eine Einzelausstellung beschicken, hatte aber aufgrund ihrer als provokativ empfundenen künstlerischen Positionen immer wieder mit Schikanen der Behörden zu kämpfen. 1914 verließen Goncharova und Larionow Moskau und zogen nach Paris, wo die Künstlerin Bühnenbilder für das Ballets Russes von Sergej Djagilew (1872–1929) kreierte. Ihre von folkloristischen Einflüssen geprägten Entwürfe fanden großen Anklang, so dass Natalia Goncharova 1915 in Genf weitere Bühnenbilder und Kostüme entwarf. Ein Ballett, an dem auch Igor Strawinsky (1882–1971) und Léonide Massine (1895–1979) beteiligt sein sollten, wurde letztlich nicht verwirklicht. Während einer Spanienreise entwickelte Goncharova ihre Liebe zu den prachtvollen traditionellen Gewändern der Einheimischen, die sie eine Zeit lang zum Sujet ihrer eigenen künstlerischen Arbeit machte. Obwohl der belgisch-französische Schriftsteller Michel Seuphor (1901–1999) im Jahr 1948 eine Renaissance des Rayonismus anstieß, verbrachte das Paar Goncharova-Larionow die letzten Lebensjahre in finanzieller Armut und von Krankheit gezeichnet.
Natalia Goncharova starb am 17. Oktober 1962 in Paris.
Natalja Sergejewna Gontscharowa - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: