Michael Wesely

Michael Wesely - Technischer Rückschritt bewirkt künstlerische Weiterentwicklung

Michael Wesely wurde 1963 in München geboren. Als Künstler entschied er sich bewusst für das Medium Fotografie, mit dem er seinen Überzeugungen, Ideen und Interessen am ehesten gerecht werden kann. Der technische Fortschritt, der das Fotografieren heute immer schneller und präziser erlaubt, war für den Kunstfotografen Wesely dabei eher ein Hemmnis. Erst die Wiederentdeckung der Langsamkeit ermöglichte Michael Wesely die angemessene Umsetzung seiner künstlerischen Vision. Er setzt dabei nicht nur gegen den Trend der Zeit auf analoge Technologie, sondern nimmt an den verwendeten Fotoapparaten auch ausgeklügelte Modifikationen vor, um die Technik an seine schöpferische Inspiration anzugleichen. Seine selbst gebauten Lochkameras sind besonders gut geeignet für die vom Künstler benötigte Langzeitbelichtung. Die von Wesely teils außerordentlich lang bemessene Zeit der Entwicklung bietet den Weg, ausgedehnte Veränderungsprozesse in einem einzigen Bild festzuhalten. Ganze Zeitstrecken schrumpfen im Objektiv von Michael Weselys Kamera zusammen, verschmelzen zu einer Momentaufnahme, die sich in Wirklichkeit über viele Augenblicke erstreckt.

Ort und Anlass bestimmen die Art und Weise der Fotografie

Michael Wesely setzt auf Langsamkeit und Unschärfe, um seine Geschichten zu erzählen – und erzielt gerade auf diese Weise Einblicke von bemerkenswerter Scharfsichtigkeit. Mit einer Belichtungszeit von über 26 Monaten gelang ihm in Berlin eine einzigartige Dokumentation der Bauarbeiten auf dem Potsdamer Platz. Das Wachstum wie das Verwelken von Pflanzen kann Michael Wesely so auf einem einzigen Bild sichtbar machen – für den Betrachter gleichermaßen Herausforderung wie Attraktion. Geduld ist deshalb eines der wichtigsten Werkzeuge Michael Weselys. Mittels einer fotografischen Aufnahme, die mitunter über ein Jahr benötigt, gelingt dem Künstler ein von der zeitlichen Realität losgelöster Blick auf ganz konkrete Prozesse. Bei der Wahl seiner Belichtungszeit fühlt sich Michael Wesely nicht einem festgesetzten Ideal verbunden, sondern lässt sich immer von dem Ort und dem dazugehörigen Anlass leiten. Für ein Fotoprojekt am Amazonas beschied sich der Künstler mit einer für ihn geradezu rekordverdächtig niedrigen Belichtungszeit von 10 Minuten – im Vergleich zu den heute in der modernen Fotografie üblichen Werten dennoch eine halbe Ewigkeit.

Ein ganzer Tag in Brasilien auf einer einzigen Fotografie

Michael Wesely ist mit der im Jahr 1965 geborenen brasilianischen Künstlerin Lina Kim verheiratet. Das Paar arbeitet für ausgewählte Projekte auch zusammen. In den Jahren 2003 bis 2010 schufen sie zahlreiche Fotografien der brasilianischen Hauptstadt Brasília, jeweils mit einer Belichtungszeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Für ein Ausstellungsprojekt sammelten Michael Wesely und seine Frau außerdem eine Vielzahl von Bildern, die den Bauprozess der erst im Jahr 1960 geweihten Stadt illustrieren. Eine sorgfältig zusammengestellte Auswahl von etwa 300 Prints wurden in Ulm und Kiel einem faszinierten Publikum präsentiert. Aufbauend auf dieser Arbeit rekonstruierten Wesely und Kim 1 500 ursprünglich schwarz-weiß gehaltene Fotos in Farbe und veröffentlichten sie in einem Bildband, der in Brasilien erschien.

Michael Wesely lebt und arbeitet heute vorwiegend in seiner Wahlheimat Berlin.