Lot 654 Dα

Sammlung Rau für UNICEF

Die vorliegende zauberhafte kleine Meereslandschaft entstand an der Côte d'Azur und mag nach den ergänzenden Angaben von Patrick Offenstadt entweder einer grösseren Komposition vorangegangen sein, die verschollen ist oder nicht zur Ausführung gelangte. Ihm ist tatsächlich kein weiteres Gemälde mit direktem Bezug zu dieser Arbeit bekannt. Dies macht sie zu einem raren Kleinod aus einer der wichtigsten Schaffensperioden des Künstlers.
1891 entstehen im legendären mediterranen Licht Südfrankreichs, in Var, wo Cross fortan an mit seiner Frau lebt, die ersten seiner heute so begehrten Arbeiten im divisionistischen Stil. Mit Paul Signac, Maxmilien Luce oder Théo van Rysselberghe blieb er eng befreundet, die Kollegen lebten und malten in der unmittelbaren Nachbarschaft.
"Paysage au soleil couchant" übernimmt die neoimpressionistische Farbpalette mit einer Vielzahl nuancierter Violett- und Mauve-Schattierungen, die zusammen mit verschiedenen Blautönen zu den Gelb- und Lachsfarben des Horizontes sehr zart kontrastieren. Die fein abgestufte Verwandschaft der Farben, übereinander flächig geschichtet und getupft, geben der Komposition ihre schwebende Transparenz und unwirkliche Stimmung: ein Traum der Dämmerung mit der Stille einer See vor grossem Horizont, unmittelbar nach Sonnenuntergang. Diese Farbpoesie wie auch die Asymmetrie der Komposition ist von hohem ästhetischem Reiz. Das lang gezogene Querformat unterstreicht die Topographie der Küste mit den angeschnittenen dunklen Pinien links im Vordergrund sowie mit den linearen Silhouetten von fernen Inseln und flachen Wolkenbildungen. Zwar ist die Technik des Pointillismus nicht konsequent durchgebildet wie in den grösseren Meereslandschaften von Cross (vgl. "Pointe de la Galère", "Les Iles d'Or", beide 1891/1892, Compin, op. cit. Nr. 30, S. 115 und Nr. 36, S. 125, jeweils mit Abb.). Doch die gesamte Flächenkomposition als Bildentwurf erscheint, bei aller möglichen Vorläufigkeit, in der formalen Reduktion konzentriert und dekorativ. Sie erinnert an die Rezeption asiatischer Holzschnittkunst in der französischen Moderne bzw. an den Japonismus der vorliegenden Epoche. Auch sollte kein geringerer als Henri Matisse sich etwa 10 Jahre später in Saint Tropez für die Kunst von Signac und Cross sehr interessieren.