Georg Kolbe
Kleine Stehende (Renate)
1935
Bronze Höhe 78,3 cm Auf der mitgegossenen, unregelmäßig geformten Plinthe hinten links monogrammiert 'GK' (ligiert). Rückseitig auf dem oberen Rand der Plinthe mit dem Gießerstempel "H.NOACK/ BERLIN FRIEDENAU" versehen. Einer von nur 2 bekannt gewordenen Güssen, davon der erste im Georg Kolbe Museum in Berlin. Der vorliegende zweite Guß wurde nach vorhandener Dokumentation des Kolbe-Archives im Oktober 1936 für die Galerie Buchholz in Berlin gefertigt und wenig später von der Galerie in die Dependance nach New York exportiert. Für diese Zwecke wurde, nach Angabe von Ursel Berger, an der Plinthe unter dem Gießerstempel die Ziffer "1" angebracht; die in der Regel nicht nummerierten Güsse von Georg Kolbe erhielten nur bei Export solche gestempelten Kennungen, die keine fortlaufenden Exemplarnummern darstellen. - Mit ebenmäßiger schöner Bronzepatina, ins Olivfarben-Grünliche spielend.
Zu dieser Bronze stand dem Künstler nach Ursel Berger die Tänzerin Renate Löwy (auch: Levi) Modell.
Kolbes Werk ist unübersehbar von Anfang an dominiert von der weiblichen Aktfigur. In den 1930er und 1940er Jahren erfährt der Akt gegenüber den grazilen Mädchengestalten des Frühwerks eine lebensnahe und fülligere Proportion, auch beobachtet man eine neue, klassisch anmutende formale Vereinfachung. Äußere wie innere Bewegungen sind deutlich zurückgenommen, es herrschen körperliche Grundstellungen vor, Emotionen sind zur Ruhe gebracht. Bei aller Naturnähe und Lebendigkeit der modellierten Oberfläche von Georg Kolbes Figuren ist eine Tendenz zur Monumentalisierung unübersehbar. Die Beschäftigung mit dem stehenden weiblichen Akt führte den Künstler über die 1929/1930 entstandene "Frauenstatue" (Berger 125) im Gedenken an seine 1927 verstorbene Gattin, Benjamine Kolbe, zu dem "Jungmädchen (Junges Mädchen)" von 1933 (Berger 151) und der "Amazone (Junge Frau)" von 1937 (Berger 170); diese beiden zuletzt genannten Plastiken sind mit 106 cm bzw. 94 cm deutlich größer als die vorliegende sog. "Kleine Stehende". Die Figur "Jungmädchen" ist jedoch nach Berger's jüngsten Forschungen nach dem gleichen, oben genannten, Modell gearbeitet.
"Kolbes Griechenland-Reise 1931 mag seine Hinwendung zur Statuarik gefördert haben. Im übrigen befaßten sich auch jüngere Bildhauer wie Gerhard Marcks, Ludwig Kasper und Hermann Blumenthal in jener Zeit bevorzugt mit gemessen stehenden Figuren, die gegenüber Kolbes Gestalten jedoch abstrahierter gestaltet waren. In der Mitte der dreißiger Jahre hatte Kolbe die Ungeschicklichkeiten der Arbeitsphase um 1930 überwunden. Es entstanden einige Figuren, die Würde und Schönheit in sich vereinigen. Überzeugend wirken vor allem die Frauengestalten, die offensichtlich eingehender als die sich wiederholenden männlichen Athletenfiguren im großen Modell überarbeitet worden waren. Sie stehen alle im Zusammenhang mit dem Projekt 'Ring der Statuen', den Kolbe zeitweilig als 'Ring der Frauen' konzipiert hatte." (Ursel Berger, Georg Kolbe - Leben und Werk, Berlin 1990, S. 116). Kolbe hatte sich seit 1933 mit diesem "Ring"- Projekt beschäftigt, das mit architektonisch-plastischen Entwürfen zu einem geplanten Nietzsche-Denkmal in Weimar in Zusammenhang stand. Zur endlichen Aufstellung eines solchen Statuen-Rings mit 4 weiblichen und 3 männlichen Figuren kam es jedoch erst nach dem 2. Weltkrieg im Frankfurter Rothschild-Park (Berger, op. cit., S. 117; vgl. auch Ursel Berger (Hg.), Georg Kolbe, Ausst. Kat. Berlin/Bremen 1998, S. 68 f. und S.117 mit Abb.; s. auch unsere Vergleichsabb.).
In der vorliegenden Figur der "Kleinen Stehenden" ist die ruhige Pose durch die leichte Verschiebung in den Hüften und durch den Bewegungskontrast der Körperhälften belebt. Das rechte Bein ist vorgestellt, der rechte Arm leicht nach vorne geführt, die Hand liegt am gebeugten Oberschenkel. Auf der linken Seite bilden Standbein und Arm eine stabile Senkrechte, die linke Hand öffnet sich in natürlicher Geste nach hinten. Die Präsentation der vorliegenden Figur vermeidet klassizistische Glätte und frontale Symmetrie, die oft bei vergleichbaren Akten der Zeit als hierarchisch und streng empfunden wird. Sportliche Jugendlichkeit und modernes Selbstbewusstsein drücken sich allerdings in der aufrechten Haltung und in den ebenmäßigen Zügen des Modells aus.
Werkverzeichnis
Berger 157
Zertifikat
Mit einem Gutachten von Ursel Berger, Berlin, vom 5. Mai 2014
Provenienz
Galerie Buchholz, Berlin (1936); Buchholz Gallery, New York (1937); M. Knoedler & Co., Inc., New York (1968); Deane F. Johnson, Beverly Hills; Privatbesitz USA; Christie's New York, Impressionist and Modern Art, Sale 2439, Mai 5, 2011, Lot 382; Norddeutscher Privatbesitz
Literaturhinweise
Ursel Berger, Georg Kolbe - Leben und Werk, mit dem Katalog der Kolbe-Plastiken im Georg-Kolbe-Museum, Berlin 1990, S. 351 f., Kat. 157 mit Abb. S. 351; vgl. auch ebenda S. 116 f.
Ausstellung
New York 1937 (Buchholz Gallery - Curt Valentin), Opening Exhibition: Sculpture and Drawings, March-April 1937, Nr. 12; New York 1938 (Buchholz Gallery - Curt Valentin), Georg Kolbe: Sculpture & Drawings, Feb. 14 - March 12, 1938, Nr. 25