Anselm Kiefer - Geheimnis der Farne - image-1

Lot 522 D

Anselm Kiefer - Geheimnis der Farne

Auktion 1042 - Übersicht Köln
29.11.2014, 12:00 - Zeitgenössische Kunst
Schätzpreis: 450.000 € - 550.000 €
Ergebnis: 556.000 € (inkl. Aufgeld)

Anselm Kiefer

Geheimnis der Farne
1996-2000

Öl, Emulsion, Acryl, Kreide, Zweige, Harz überzogene Farne, Gips, Schellack, Ton, Stacheldraht auf Leinwand. Ca. 190 x 332 cm.

Anselm Kiefers Arbeiten sind ‚Erinnerungswerke' und offenbaren seine intellektuelle Auseinandersetzung mit sowohl der persönlichen als auch der nationalen Vergangenheit, jüdischer Mystik, alchemistischen Traditionen und Mythen der Antike (vgl. Lot 523). In der Konsequenz strahlen Kiefers Werke grundsätzlich eine geheimnisvolle und oftmals erhabene Aura aus, die zum einen in ihrer Monumentalität und zum anderen in ihrer Deutungsvielfalt begründet ist. In der vorliegenden Arbeit schichtet Kiefer verschiedenste urtümlich anmutende Materialien über- und untereinander und lässt damit vor den Augen des Betrachters eine geheimnisvoll wirkende Sumpflandschaft entstehen, in der sich mehrere Felsbrocken, umrankt von Farnbüschen und einem Stacheldrahtkonglomerat am unteren Bildrand, aus einem Flussbett erheben. Den Schlüssel zur Dekodierung dieser geheimnisvollen Szene liefern die für Kiefer typischen Beschriftungen im oberen linken Bildfeld: „für Paul Celan“ und „Geheimnis der Farne“. Paul Celan, einer der bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts, ist eine der wichtigsten Referenzquellen im Gesamtwerk Kiefers wie sich an Hand einer Vielzahl seiner Werke feststellen lässt. Ein prominentes Beispiel ist das Gedicht „Die Todesfuge“, das Kiefer in mehreren Arbeiten thematisch beschäftigt hat und auch der Einsatz von Mohnsamen geht auf Paul Celan zurück. Mit dem vorliegenden Werk „Geheimnis der Farne“ rekurriert Kiefer auf Celans gleichnamiges Gedicht, das dieser 1946 während seiner Tätigkeit als Lektor und Übersetzer in Bukarest geschrieben hat:

„Im Gewölbe der Schwerter besieht sich der Schatten laubgrünes
Herz.

Blank sind die Klingen: wer säumte im Tod nicht vor Spiegeln?
Auch wird hier in Krügen kredenzt die lebendige Schwermut:
blumig finstert sie hoch, eh sie trinken, als wär sie nicht Wasser,
als wär sie ein Tausendschön hier, das befragt wird nach dunklerer
Liebe,
nach schwärzerem Pfühl für das Lager, nach schwererem Haar . . .

Hier aber wird nur gebangt um den Schimmer des Eisens,
und leuchtet ein Ding hier noch auf, so sei es ein Schwert.
Wir leeren den Krug nur vom Tisch, weil uns Spiegel bewirten:
einer springe entzwei, wo wir grün sind wie Laub!“

(zitiert nach: Paul Celan, Mohn und Gedächtnis, Mit einem Nachwort von Jan Bürger, München 2012)

Kiefer gelingt es, die rätselhafte Magie der Sprache Celans in seinem Werk künstlerisch umzusetzen. Analog zu Cordula Meier Überlegungen in ihrer Kiefer-Monografie lässt sich zudem eine für Kiefer typische Mehrdeutigkeit feststellen, die über das Offensichtliche hinaus verweist: „Das Tafelbild bei Kiefer entwickelt sich als Palimpseststruktur durch das sukzessive Auftragen verschiedener Materialien. Dabei besitzen diese Materialien bereits wegen ihrer puren Stofflichkeit eine evidente ästhetische Qualität. Erde, Sand, Stroh, Asche, um nur die als organische Materialien kategorisierbaren zu nennen, besitzen eine anschauliche Kraft. Neben dieser beschriebenen Stofflichkeit, die unter anderem die Farb- und Oberflächenqualität der Bilder extrem bestimmt, treten diese von Kiefer verwendeten Stoffe immer auch als bedeutungsbeladene Substanz im Bild in Erscheinung, oder [wächst erst im Rahmen des Gesamtwerkes einem Stoff eine polysemische Bedeutung zu.“ (Cordula Meier, Anselm Kiefer, Die Rückkehr des Mythos in der Kunst, Essen 2013, S.148). Bei der vorliegenden Arbeit ist der titelgebende Farn das Material mit polysemischem Gehalt. So verweist Dieter Ronte im Koblenzer Ausstellungskatalog von 2012 auf die mystische Bedeutung des „Hexenkrauts“, das sich an zahlreichen Beispielen aus der Literatur- und Kulturgeschichte nachvollziehen lässt: „Es sollte gegen Hexen und Zauberei schützen und unsichtbar machen. So heißt es in Shakespeares Heinrich IV: „Wir gehen unsichtbar, denn wir haben Farnsamen bekommen“. Das Konzil von Ferrara erließ 1612 das Verbot, Farnsamen in der Johannisnacht zu sammeln, denn nur in dieser Nacht blüht der Farn. Eine Sorte Farn wird deshalb der „Wünschelfarn“ genannt. Der Wurmfarn half wegen seiner Form (Signaturlehre, natura naturans, Paracelsus) gegen Rückenschmerzen. Vom Tüpfelfarn heißt es: „Die Wurzel Engelsüß macht Bräute sanft und lieblich, dass sie nicht streiten.“ Hildegard von Bingen nannte die Farne den Feind des Teufels und der bösen Geister. Zugleich soll der Farn Unwetter abhalten und Glück in der Liebe und im Spiel bringen. Doch das Geheimnis liegt eben bei den Wünschelsamen. Denn die Farne haben gar keinen Samen. Sie vermehren sich durch Sporen. Dieses Geheimnis wurde erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts von dem Leipziger Botaniker Wilhelm Hofmeister (1824-1877) gelüftet.“ (Dieter Ronte, In Bildern denken, Thinking in Pictures, in: Beate Reifenscheid (Hg.), Anselm Kiefer, Memorabilia, Ausst.Kat. Ludwig Museum im Deutschherrenhaus Koblenz, Mailand 2012, S.56)

Provenienz

Privatsammlung, Hessen

Ausstellung

Shanghai 2014 (China Art Museum), Wild Heart, Art Exhibition of German Neo-Expressionism since the 1960s
Koblenz 2012 (Ludwig Museum im Deutschherrenhaus), Anselm Kiefer, Memorabilia, Ausst.Kat., S.82/83 mit Farbabb.