Emil Nolde
Dampfer auf einem Fluss
1913
Aquarell auf dünnem faserigen Büttenpapier 26,1 x 34,2 cm Unten rechts mit Bleistift signiert 'Nolde' (die beiden letzten Buchstaben möglicherweise durch die Randbeschädigung nachgezogen). - Die Ränder leicht unregelmässig geschnitten. - Gleichmässig gebräunt mit leichten Verfleckungen in den unteren Blattecken durch ehemalige rückseitige Verklebung. Der Oberrand und die rechte obere Ecke mit kleineren Einrissen bzw. Ausriss, professionell restauriert.
Das vorliegende Aquarell entstand höchstwahrscheinlich im November 1913, als Emil Nolde auf dem Weg nach Neuguinea für rund vier Wochen China bereiste. Vom 4. November an führte seine Route zu Land und zu Wasser von Peking über Hankou (Wuhan) und Shanghai bis nach Hongkong und Kanton (Guangzhou). Über das heutige Indonesien gelangte Nolde von dort schließlich nach Neuguinea, der letzten Etappe seiner Reise.
Noldes knapp einjährige Südseereise, die den Künstler zunächst durch Russland, Korea, Japan und China führte, bot dem Künstler eine Flut von Eindrücken: „Mit Pinsel und Farben arbeitete ich wie ein Besessener; nur die Augen brauchte ich vom Papier aufzuheben, es waren alles Bilder, alles Bilder um mich, reichstes tobendes, fließendes Leben, Spiegelungen, Boote, Menschen in außergewöhnlichen Stellungen, und dazwischen Dunst - und ich malte unaufhörlich, daß nachher im Gasthof ich todmatt hinfiel; es war kein Wunder“, schrieb Nolde rückblickend über seinen Zwischenstopp in Hankou (Emil Nolde, Welt und Heimat. Die Südseereise 1913-1918. Köln 1965, S. 46). Das Zitat belegt glaubhaft, wie Nolde seine Aquarelle und Zeichnungen während der Reise in aller Kürze anfertigte, wobei dem Künstler sein ohnehin spontanes Maltemperament entgegenkam.
Noldes Entdeckung der Ferne war geprägt vom direkten Erleben, wie auch von zeitgenössischen Ideen des Primitiven. Vermutlich direkt vom Deck eines Dampfschiffes fing der Künstler mit lebendigem Pinselstrich die Begegnung eines traditionellen Ruderboots mit einem modernen Dampfer ein. Sinnbildlich scheint die Arbeit Noldes vorherrschenden Eindruck von einem „großen schlafenden China“, dessen traditionsreiche Kultur sich zunehmend mit dem dominanten Einfluss der „westlichen Kulturvölker“ konfrontiert sieht, zu spiegeln (vgl. Emil Nolde: Welt und Heimat. Die Südseereise 1913-1918, Köln 1965, S. 50ff).
Motivisch greift Emil Nolde in diesem Werk unter anderem auf seine maritimen Ansichten von Hamburger Hafen und Alster aus dem Jahr 1910 zurück - ein Sujet, das ihn im Laufe seiner Schaffenszeit immer wieder beschäftigt hatte. Vielleicht noch entschiedener als etwa die verwandten Dschunken-Aquarelle aus der Sammlung des Sprengel Museum Hannover belegt die bemerkenswerte Darstellung, wie authentisch Nolde die fragile Exotik der Fremde festzuhalten vermochte.
Zertifikat
Mit einer beglaubigten Kopie der Foto-Expertise von Martin Urban vom 7. März 1973 durch Manfred Reuther, Seebüll, vom 12. April 2016
Wir danken Manfred Reuther, Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, für ergänzende Auskünfte.
Provenienz
Sammlung Herkenrath, Köln; Galerie Nierendorf, Berlin; ehemals Privatbesitz Berlin
Literaturhinweise
544. Math. Lempertz'sche Kunstversteigerung, Köln, Kunst des XX. Jahrhunderts, 14. Mai 1975, Los 557 mit Abb. Tafel 1; 556. Math. Lempertz'sche Kunstversteigerung, Köln, Kunst des XX. Jahrhunderts, 3. Dezember 1976, Los 592 mit Abb. Tafel 2 [nicht Tafel 3, Abbildungsverwechslung]