Hermann Max Pechstein
Waldinneres
1919
Öl auf grober Leinwand 62,5 x 100,5 cm - Die obere Kante sehr bröselig mit losen Farbpartikeln
Das Gemälde ist nicht datiert, es gibt jedoch, worauf Aya Soika in ihrem Gutachten hinweist, zahlreiche stilistische und motivische Gründe, die für eine kunsthistorische Einordnung in Pechsteins malerisches Oeuvre des Jahres 1919 sprechen. Während seines viermonatigen Aufenthaltes von Ende Juni bis Ende Oktober 1919 existiert eine ganze Reihe von Ölbildern des Künstlers, die den charakteristischen, leicht hügeligen Kiefernwald bei Nidden (dem heutigen litauischen Nida) darstellen. Seit dem Sommer des Jahres 1909 hat Pechstein das abgelegene Fischerdorf Nidden auf der Kurischen Nehrung in Ostpreußen immer wieder aufgesucht und dort gemalt. 1919 verbrachte er hier die Zeit von Ende Juni bis Ende Oktober. Wegen des Krieges war dies der erste Aufenthalt seit dem Jahr 1912. Dreißig Jahre später schrieb er rückblickend: „In Zukunft wurde dies Nidden mit seinen Wanderdünen, seinem Haff und dem schmalen Waldstreifen zur Ostsee hinüber mein Malerparadies.“ (Lebenslauf Pechsteins, 6.4.1949, Landesarchiv Berlin B Rep.080, Nr.78, in: Aya Soika, Max Pechstein, Das Werkverzeichnis der Ölgemälde, Band 1, München 2011, S. 31). Im Sommer 1919 hatte Pechstein eine äußerst produktive Arbeitsphase, bei der zahlreiche Dünen-, Küsten- und Waldbilder entstanden. Im Oktober des selben Jahres schrieb er seinem alten Freund, dem Schriftsteller und Kunstkritiker Paul Fechter: „Alles ersäuft bei mir in Farben, mein Gehirn ist nur mit Bildern gefüllt und jagt mich die Idee des zu malenden von einem Ort zum anderen,..“ (Brief an Paul Fechter, Nidden, 2.10.1919, Getty Archive, Los Angeles, in: Soika, op. cit., S.38).
Die Leuchtkraft der bewusst eingesetzten Farbe ist auf einen starken Rot-Grün-Kontrast angelegt. Durch strukturierende schwarze Konturen und Lineaturen wird die heftige Wirkung dieser Komplementärfarben noch einmal gesteigert. Blaue und grüne Töne akzentuieren das Geheimnisvolle des Waldes, wohingegen das lebendige Rot, angefeuert durch eine gelb-orange leuchtende Düne, eine gewisse Anspannung und innere Erregtheit des Künstlers deutlich machen mag. Zugleich wird durch diese farblich abgesetzte Lichtung eine gewisse Bildtiefe suggeriert. Auch die Farbe Violett, wie sie für die Darstellung des Waldbodens verwendet wird, kommt in den Werken des Jahres 1919 häufig vor. Pechsteins Malstil erlaubte ihm das Erlebte unmittelbar künstlerisch umzusetzen, bzw. spannungsreich zu inszenieren. So war er einerseits besorgt, wie er sein geliebtes Nidden nach den langen Jahren des Krieges und seiner Abwesenheit vorfinden würde, andererseits gelang es ihm stets, sich schnell vom Reiz der Natur und ihren jahreszeitlich bedingten Farbharmonien inspirieren zu lassen.
Pechstein war 1919 bereits sehr erfolgreich, wie eine Einzelausstellung in der renommierten Galerie Arnold, wo 46 Gemälde und 40 Aquarelle zu sehen waren, sowie eine Ausstellung bei seinem Berliner Kunsthändler Wolfgang Gurlitt, wo 24 Gemälde aus Nidden gezeigt wurden, beweisen. Für das Jahr 1919 sind laut Aya Soika 25 Waldstücke dokumentiert. Daher stellt das nun bekannt gewordene Waldstück eine erfreuliche Bereicherung dar und kann eine weitere Lücke in der Pechstein-Forschung schließen.
Werkverzeichnis
Nicht bei Soika
Zertifikat
Mit einem Gutachten von Aya Soika, Berlin, vom 17. Oktober 2012
Provenienz
Galerie Commeter, Hamburg (1949 dort erworben); Privatsammlung Kiel, seitdem in Familienbesitz
Ausstellung
Kiel 1955 (Kunsthalle Kiel), Kunstwerke aus Kieler Privatbesitz, Gemälde, Zeichnungen, Graphik, Plastik, Kat. Nr. 66 ("Waldinneres")