Lyonel Feininger - Railroad Train (Eisenbahnzug) - image-1

Lot 95 R

Lyonel Feininger - Railroad Train (Eisenbahnzug)

Auktion 910 - Übersicht Köln
28.11.2007, 00:00 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 100.000 € - 120.000 €
Ergebnis: 144.000 € (inkl. Aufgeld)

Lyonel Feininger

Railroad Train (Eisenbahnzug)
1941

Öl auf Leinwand 48,2 x 71,3 cm signiert

Feininger wurzelt zweifellos durch Kindheit und Jugend in der "amerikanischen Legende", zu der - wie es schon Hans Hess feststellte - die "Eisenbahnen und Dampfer" gehörten - als Inbegriff des modernen Fortschritts und des technischen Zeitalters. In Feiningers graphischer Arbeit und im malerischen Werk sind sie seit den frühen Karikaturen feste motivische Bestandteile. Auch in anderen stilistischen Zusammenhängen tauchen sie immer wieder bildmächtig auf. Insbesondere das Spätwerk Feiningers leugnet diese Lebensbezüge nicht, im Gegenteil, die phantastischen Bildprägungen seiner jungen Jahre brechen sich wieder Bahn.
Die Komposition des Gemäldes "Railroad Train" von 1941 findet sich in einer 1918 entstandenen Bleistiftskizze vorformuliert ("Eisenbahn auf Brücke mit vier Figuren", Skizze vom "24.VIII 1918", vgl. Ausst. Kat. Baden/Schweiz 1991, op. cit., Nr. 38, S. 71 mit Abb.) wie auch im Holzschnittwerk dieser Jahre (vgl. Prasse W 81 o. W 163). Sehr ähnlich ist ein Aquarell von 1921 ("Rangierzug", vgl. Ausst. Kat. Hamburg/Tübingen 1998, op. cit., Kat. Nr. 80).
Aber schon die ganz frühen, um 1910/1911 entstandenen Werke, Gemälde wie Zeichnungen, haben motivisch starke Bezüge: etwa der "Old Railway Train" mit den eisenbahnbegeistert-gestikulierenden, bourgoisen Herren mit Stock und Zylinder (Sammlung Lux Feininger, vgl. June L. Ness (Hg.), Lyonel Feininger, New York 1974, Abb. 17). Auch die bildbestimmende Brücken- und Bogenkonstruktion findet man sehr früh, etwa in dem grotesk überdimensionierten Eisenbahnviadukt bei den berühmten "Disparagers" (heute Museum of Modern Art, New York), ein Landschaftszitat aus Feiningers Pariser Zeit.
Scheint bei dem vorliegenden Gemälde in der Silhouettierung des Bildgegenstandes und in der grotesken Abbreviatur stilistisch ein ähnlicher Ansatz wie im Frühwerk gegeben, so verzichtet Feininger nun doch fast gänzlich auf minutiöse zeichnerische Details zugunsten eines neuen und betont malerischen Einsatzes der Farbe.
Recht bunt geht es überhaupt hier nun her. Der seltsame Zug hat nicht nur die skurrilsten Aufbauten, er fährt auch entgegen aller guten Gewohnheit nicht ordentlich von links nach rechts, sondern à rebours, von rechts nach links durch das Bild, und hätten wir eine kinetische Animation und Akustik würde es tüchtig wackeln, metallisch scheppern und klingeln, ein "Spook" am hellichten Tage. Im Kontrast zum aufsteigenden Rauch des Gefährts erhebt sich am anderen Ende auf blauem kahlen Geäst ein Galgenvogel, fast politisch, der das Ganze überaus kritisch beobachtet. Von den Herren im Zylinder aus der guten alten Zeit ist ein Strichmännchen unter den Arkaden übrig geblieben, das hinauf zu grüßen scheint. Ihm begegnet jenseits der Bahn ein Vogelgebilde im Sturzflug - oder steigt es auf und von dannen - oder sowohl als auch? Hier scheint es, als zitiere Feininger sich selbst in formaler Anspielung auf die abstrakt-geometrischen, diaphanen Wolkenmotive und "Luftspiegelungen", den "Vogelwolken" aus anderen Werkzusammenhängen.

Werkverzeichnis

Hess 407

Zertifikat

Wir danken Ulrich Luckhardt, Hamburg, für freundliche Hinweise

Provenienz

Aus dem Nachlaß des Künstlers

Literaturhinweise

Hans Hess, Lyonel Feininger, Stuttgart 1959, S. 144; Ulrich Luckhardt, Lyonel Feininger: Die Karikaturen und das zeichnerische Frühwerk, München 1987, vgl. S. 102 und Abb. 72, 73; Florens Deuchler, Lyonel Feininger. Lokomotiven und Eisenbahnlandschaften, Sonderausst. 1991 zum hundertjährigen Bestehen der BBC Brown Boveri AG/ABB Schweiz, Baden/Schweiz 1991, vgl. S. 72 mit Abb. 38; Ausst. Kat. Lyonel Feininger, Die Zeichnungen und Aquarelle, Kunsthalle Hamburg/Kunsthalle Tübingen, Hamburg 1998, vgl. Kat. Nr. 80 mit Abb. S. 115