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Lot 1001 Dα

Meister des Tobias (Maestro di Tobia) - Klappaltar mit Thronender Muttergottes

Auktion 1108 - Übersicht Köln
16.05.2018, 11:00 - Gemälde und Zeichnungen Alter Meister, Skulpturen
Schätzpreis: 120.000 € - 160.000 €
Ergebnis: 496.000 € (inkl. Aufgeld)

Meister des Tobias (Maestro di Tobia)

Klappaltar mit Thronender Muttergottes

Tempera auf Holz. 46,5 x 28 cm (Mittelstück) 46,5 x 11 cm (Flügel).

Die mittlere Tafel dieses kleinen Triptychons zeigt einen lichterfüllten Bildraum, in dem die Muttergottes mit ihrem Kind hieratisch erhaben und dennoch in zartem Zusammenspiel thront. Zeugen dieses himmlischen Daseins sind zwei Engel, Johannes der Täufer und der Apostel Andreas. Auf den beiden Flügeln, deren Spitzen eine Verkündigung verbildlichen, erscheinen links ein Heiliger Bischof und die Heilige Katharina von Alexandrien, rechts die Kreuzigung Christi mit der trauernden Maria und Johannes.
Dieser florentinische Flügelaltar ist eine faszinierende Wiederentdeckung und birgt ein nicht einfach zu lösendes und ebenso komplexes kunsthistorisches Problem. Einstmals soll sich das Altärchen im Besitz der Pie Donne della Carità di San Vincenzo de' Paoli im Kloster von San Girolamo in Siena befunden haben (Boskovits 1975, op. cit., S. 72-73). Wie es dorthin kam ist eine offene Frage und bedeutet nicht unbedingt, dass es in oder für Siena geschaffen wurde. Das 1354 gegründete Kloster der Gesuati San Girolamo wurde erst 1855 an die Pie Donne della Carità di San Vincenzo de' Paoli abgegeben, weshalb das Triptychon möglicherweise von einer der dort neu ansässigen Frauen als Privatbesitz zur Privatandacht mitgenommen wurde. Wohl noch im 19. Jahrhundert wurde der Altar in den englischen Raum verkauft und tauchte erst 1968 im Besitz von Julius Böhler in München auf. Von dort fand es in eine deutsche Privatsammlung.
Die kunsthistorische Beurteilung dieses prachtvollen florentinischen Triptychons setzt mit Adolfo Venturi (1856-1941) ein, der es in einem Schreiben an einen vormaligen Besitzer mit Giovanni da Milano in Zusammenhang brachte. Danach setzte sich Miklos Boskovits in seinem 1975 erschienen Opus zur florentinischen Malerei des späteren 14. Jahrhunderts mit diesem Werk auseinander und würdigte dessen ausserordentliche künstlerische Qualität.
Ein Ansatzpunk für die kunsthistorische Beurteilung der Arbeit ergibt sich durch eine Tafel mit der Darstellung einer kleinen datierten Maestà in den staatlichen Sammlungen in Budapest aus dem Jahr 1345 (Abb. 1). Dieses Werk, das augenfällig auf Vorbilder aus dem Umkreis Bernardo Daddis zurückweist, so etwa auf dessen wohl bloss um wenige Jahre früheren Flügelaltar im Lindenau-Museum in Altenburg, zeigt unverkennbare Ähnlichkeiten mit unserem Bild und könnte tatsächlich vom gleichen Maler - jedoch in einer wohl ein Jahrzehnt früheren Phase - geschaffen worden sein.
Wir erkennen nicht nur vergleichbare Figurenmodelle, so etwa das ähnlich mit sanften Lichtübergangen ausgeformte rundliche Madonnengesicht analog gerundeten Zuschnitts, das auf beiden Werken in ähnlicher Form in Erscheinung tritt, sondern auch für andere Figuren. Dies trifft generell für die Engelsgesichter zu, aber auch ein Vergleich der Heiligen Katharina von Alexandrien des linken Altarflügels mit dem rechts über den Thron guckenden Engel auf dem Budapester Bild bekräftigt diesen Eindruck.
Steht nun einiges dafür, dass unser Triptychon und die Budapester Maestà aus der gleichen Künstlerwerkstatt hervorgegangen sind, erhebt sich nun erneut die Frage nach der Autorschaft dieses Bildes, das früher auch Jacopo del Casentino zugeschrieben war, und sich bis dato noch kontrovers darstellt. Während Alberto Lenza (2008, S. 162-163) mit Vorbehalt an der von Miklos Boskovits (Boskovits 1994) für das Budapester Bild postulierten Autorschaft im Umkreis des Giusto dè Menabuois festhielt, eines Florentiners also, der offenbar im Umkreis des Stefano Fiorentino in der Lombardei tätig war und danach in Oberitalien eine brilliante Malerkarriere vorlegte, hat Luciano Bellosi (2001, S. 40, Anm. 57) diese Zuschreibung verworfen. Mehr als typologische Zusammenhänge können in der Tat zwischen Giusto dè Menabuois späteren gesicherten Werken und der Budapester Tafel von 1345 nicht festgestellt werden, immerhin weisen jedoch die klar feststellbaren Assonanzen an die künstlerischen Tendenzen einiger florentinischer Maler wie Stefano Fiorentino und Giottino auf ein gemeinsames künstlerisches Substrat. Ähnliche Grundlagen lassen sich auch für unser Flügelaltärchen feststellen, und in diesem künstlerischen Ambiente muss sich unser Maler formiert haben. Steht nun das inschriftlich auf 1345 datierte Budapester Bild chronologisch vermutlich am Anfang der Karriere unseres Malers und ist dieses noch tief verwurzelt mit Bernardo Daddi und Stefano Fiorentino und in einem gewissen Masse auch mit Maso di Banco, so sind im vorliegenden Werk nun auch Anleihen aus dem Umkreis von Nardo und Andrea di Cione erkennbar. Die Figuren sind in unserem Bild im Vergleich zum Budapester Bild von grösserer physischer Präsenz, was nicht allein ihrer erhöhten Statuarik, sondern auch ihrer ausgewogeneren Anordnung im Sinne Giottos zuzuschreiben ist. Gepaart mit der feinen Innigkeit im Ausdruck, hervorgerufen durch eine feine tonale Abstufung in der Modellierung in der Art Giottinos und Stefanos Fiorentino, ergibt sich ein verfeinertes Erscheinungsbild, das sich augenfällig von der härteren Statuarik und Reliefierung im Werke der nahestehenden Maler Nardo di Cione und Andrea Orcagna abhebt. Die Gemeinsamkeit aber zugleich auch die Unterschiede zum Milieu der Brüder Cione lassen sich leicht an der Gegenüberstellung der Kreuzigung unseres Altärchens mit einer im Übrigen vorbildlichen, gegen 1350 datierbaren Darstellung desselben Bildthemas von Nardo di Cione in den Uffizien überprüfen. Trotz aller kraftvollen Statuarik bleibt die Darstellung der seelischen Regungen der Trauerenden unter dem Kreuz durch die härtere Reliefierung und die härtere Konturierung bei Nardo di Cione etwas an der Oberfläche haften, während es unserem Maler gelingt, die Emotionen seiner Klagenden durch die lichterfüllte Tonabstufung der einzelnen Formen eindringlicher zu schildern.
Die bisher gemachten Beobachtungen lassen darauf schliessen, dass der Autor unseres Triptychons die Temperatur der Florentiner Malerei um 1350 genauestens misst und eine Synthese aus den Vorgaben der Maler um Stefano Fiorentino und Giottino und andererseits aus dem Erfolgsrezept der sich um 1350 zunehmend als führendes Malerunternehmen etablierenden Orcagna-Brüder anstrebt. Vielleicht ist es kaum ein Zufall, dass seine Hand im Wandgemälde einer monumentalen Kreuzigungsdarstellung im Refektorium von Santo Spirito erkannt werden kann, die später von Andrea Orcagna mit der (heute nur mehr fragmentiert erhaltenen) Darstellung des Abendmahls eigenhändig komplettiert wurde. Der ausserordentlich begabte Maler des grossartig angelegten (ebenfalls bloss als Fragment erhaltenen) Kreuzigungsfreskos, dessen hohe künstlerische Qualität Gert Kreytenberg zu einer etwas optimistischen Zuschreibung an die Werkstatt des Sienesen Ambrogio Lorenzetti und folglich zu einer zu frühen Datierung um 1330 verleiten liess (Kreytenberg 2000, S. 151-158) ist wohl identisch mit dem Autor unseres Flügelaltars.

Erst in jüngerer Zeit (Palmieri 2005, op. cit., S. 405-415) wurde Andrea Orcagnas unbekannter Mitarbeiter im Projekt dieses Freskos mit dem unter dem Notnamen "Meister des Tobias" bekannten Florentiner Maler in Zusammenhang gebracht, dessen Oeuvrekatalog in der Zwischenzeit mit einer Vielzahl jener Werke angereichert wurde, die einst der Werkgruppe des nach einem Fresko im Bargello "Maestro del Bargello" benannten Malers (Boskovits 1975, S. 355-357), angerechnet wurden.
Im Verlaufe der 1350er Jahre muss sich unser Maler vermehrt an den Brüdern Orcagna orientiert haben, was wohl nicht zuletzt mit seiner für die Refektoriumsfresken in Santo Spirito erkennbaren Zusammenarbeit mit Andrea Orcagna zusammenhängen dürfte. Wohl zum Zeitpunkt dieser Wandmalereien dürfte auch unser Flügelalter entstanden sein. Dieses Zusammenwirken mit Orcagna und die vermehrte Aufmerksamkeit für diesen Maler seitens unseres Künstlers ist auch in einem weiteren Triptychon der ehemaligen Sammlung Beretta in Spello zu erkennen, das vermutlich gegen 1360/65 entstanden ist.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass unser Triptychon als eines der besten Werke im Schaffen unseres bemerkenswerten Künstlers gelten darf. Dieser Neuzugang zur Werkgruppe des Tobias-Meisters definiert einen besonders kreativen Moment in der florentinischen Trecentomalerei. Es darf zu den besten kleinformatigen Flügelaltären um die Jahrhundertmitte gezählt werden und führt in Parallele zu den Brüdern Orcagna auf originelle und qualitativ hochstehende Weise das Erbe von Bernardo Daddi, Maso di Banco und Stefano Fiorentino weiter.

Wir danken Professor Gaudenz Freuler für diesen Katalogbeitrag.

Diese Arbeit wird versteigert zugunsten der Kardinal-Meisner-Stiftung, Köln.

Zertifikat

Gaudenz Freuler, März 2018.

Provenienz

1872, Siena, Monasterio di San Girolamo. - 1968-1973 Julius Böhler, München. - Slg. Helmuth Domizlaff (1902–1983), München. – In der Erbfolge Hildegard Domizlaff (1898-1987), Köln.

Diese Arbeit wird versteigert zugunsten der Kardinal-Meisner-Stiftung, Köln.

Literaturhinweise

M. Boskovits: Pittura fiorentina alla vigilia del Rinascimento 1370-1400. Florenz 1975, S. 72-73 u. 281, Abb. 81.

Zitierte Literatur: M. Boskovits: Budapest Museum of Fine Arts, Esztergom Christian Museum. Early Italian Panel Paintings, Budapest 1966, S. 10-11. - M. Boskovits: Su Giusto de´Menabuoi e sul "giottismo" nell´Italia settentrionale, in: Studi di Storia dell ´Arte in Onore di Mina Gregori, Mailand 1994, S. 26-34. - Gert Kreytenberg: Orcagna. Andra di Cione. Ein universeller Künstler der Gotik in Florenz, Mainz 2000, S. 151-158. - L. Bellosi: Giottino e la pittura di filiazione giottesca intorno alla metà del Trecento, in: Prospettiva 1001, 2001, S. 40, Anm. 57. - M. Palmieri: Profilo di un pittore fiorentino della metà del Trecento: Il Maestro di Tobia, in: Arte Cristiana XCIII, 2005, S. 405-415. - A. Lenza: Giusto de´Menabuoi, in: Giovanni da Milano, Capolavori del Gotico fra Lombardia e Toscana, Ausstellungskatalog Florenz, Galleria dell´Accademia 2008, S. 162-163, Kat. Nr. 7. - A. Tartuferi: Della tradizione gotica al primo Rinascimento, Florenz 2009, S. 20-29.