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Lot 1 Nα

Wilhelm von Gloeden - Ohne Titel

Auktion 1109 - Übersicht Köln
01.06.2018, 14:00 - Photographie
Schätzpreis: 1.600 € - 1.800 €
Ergebnis: 2.728 € (inkl. Aufgeld)

Wilhelm von Gloeden

Ohne Titel
Um 1900

2 Albuminabzüge. 21 x 16,7 cm. 22,8 x 16,9 cm. Rückseitig mit Bleistift beziffert 'M 1/6' bzw. 'M 4/6'.

„Sammeln bedeutet nicht nur die effektive Inbesitznahme eines Objektes, sondern die liebevolle Aneignung des auf dem Bild festgehaltenen Seins“ (Heinz P. Barandun)


Wilhelm von Gloeden gilt als der prominenteste unter den Vertretern der männlichen Aktphotographie des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seine Wahlheimat Taormina, jener Ort, an dem er sich 1877/78 niederließ und sein Studio eröffnete, wurde durch ihn zu einem "Mittelpunkt der mondänen homoerotischen Gesellschaft" des Fin de siècle (1). Dichter und Schauspieler, Maler sowie herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Industrie und Hochadel der Jahrhundertwende, darunter Oskar Wilde und Gabriele d'Annunzio, Sarah Bernhardt und Marcel Proust machten hier Halt. Seine Freilichtstudien, die zumeist Jünglinge in antikisierenden Gewändern in arkadischer Landschaft zeigen, erfreuten sich schon zu Lebzeiten großer Beliebtheit und konnten über Kunstverlage als Vertriebspartner sowie Bestellkataloge erworben werden (vgl. Lot 1). Dank zahlreicher Ausstellungsbeteiligungen und Veröffentlichungen in wichtigen geschmacksbildenden Zeitschriften waren seine Werke international bekannt.

In künstlerischer Hinsicht ebenbürtige Mitstreiter, wenngleich zu Lebzeiten weitaus weniger populär, waren die zunächst in Neapel und seit Mitte der 1890er Jahre in Rom tätigen Photographen Guglielmo (Wilhelm) Plüschow, ein Vetter von Gloedens, und Vincenzo Galdi. Letzterer war ein Schüler und Modell Plüschows und ebenso wie dieser auf männliche Aktportraits spezialisiert. Plüschow verwendete teilweise die gleichen photographischen Stilmittel, Requisiten und Modelle wie Gloeden, weshalb ihre Werke oft nur schwer voneinander zu unterscheiden sind. Peter Weirmair weist darauf hin, dass die Arbeiten von Plüschow "eine stärkere sexuelle Ausstrahlung besitzen als die den Bereich des Sexuellen eher aussparenden, romantisch gefärbten Arbeiten von Gloedens" (2).

Auch wenn es sich bei den hier präsentierten Werken ausschließlich um Aufnahmen junger Männer handelt, die, wie Ulrich Pohlmann es nennt, das „Markenzeichen" der Photographen waren, würde es zu kurz greifen, Gloeden und seinen Umkreis auf den homoerotischen Aspekt ihres Werkes zu reduzieren. „Das zeitgenössische Verständnis war […] vielschichtiger, zumal die Aktphotographie auch den Aufbruch zu einer sukzessiven Befreiung von den körperfeindlichen Dogmen des 19. Jahrhunderts repräsentierten.“ (3) Der männliche Akt existierte in der Photographie bis dato nur in den oft hölzern wirkenden Studienvorlagen für die kunstakademische Ausbildung oder in pornographischen Aufnahmen, die unter dem Ladentisch gehandelt wurden. Allein der Schritt ins Freie war eine Pioniertat der Photographen. Die außerordentliche Qualität der hier vorliegenden Werke liegt in der ausgewogenen Komposition und der harmonischen Verbindung, die Landschaft, Figur und Requisite miteinander eingehen. Sie zusammen erzeugen den lebhaften Eindruck einer real existierenden arkadischen Welt. "Die Kunden waren vom Realismus der Körper betroffen, die durch Idealisierungsversuche nicht ästhetisiert werden konnten, wie dies in der Malerei eines Hans von Marées etwa möglich war." (4) Entgegen der üblichen Praxis zeitgenössischer Aktphotographen lehnte Gloeden manipulative Eingriffe am Negativ weitgehend ab, somit "nehmen seine Freilichtakte, deren Abbildungsschärfe jede körperliche Einzelheit betont, eine Ausnahmestellung in der Aktphotographie um 1900 ein" (5).

Auslöser für das Interesse Heinz P. Baranduns an Wilhelm von Gloeden und seinem Umkreis sowie für die sich daraus entwickelnde Sammelleidenschaft war die Lektüre von Roger Peyrefittes Biographie-Roman 'Les amours singulières' (Paris 1949), ein Buch, das, wie der Sammler es selbst formuliert, "auf sein junges Gemüt einen tiefen, nachhaltigen Eindruck gemacht hat" (6). Ebenso wie Peyrefitte, der französische Diplomat und Pionier der homosexuellen Emanzipationsliteratur, verbrachte Barandun in den folgenden Jahren viele Wochen auf Sizilien und in Taormina und konnte Kontakte knüpfen, die ihm beim Aufbau seiner Sammlung halfen. Diese gehört zu den größten und bedeutendsten Sammlungen von Werken Wilhelm von Gloedens und seines Umkreises in Privatbesitz. (7) Der größte Teil der Sammlung stammt direkt aus dem Nachlass Wilhelm von Gloedens. Dieser befand sich zunächst bei Pancrazio Bucini (gen. 'Il Moro'), dem langjährigen Assistenten und Freund von Gloedens, und ging nach dessen Tod 1963 an Nino Malambri, Taormina, über (8). Von Malambri erwarb Barandun in den 1980er Jahren die Blätter, die ihn interessierten. Ergänzt wurde die Sammlung durch gezielte Käufe in Auktionen, etwa aus dem Nachlass Andy Warhols, der 1988 in New York versteigert wurde. Die Sammlung Barandun wurde in Teilen mehrfach ausgestellt, u.a. in Rom, New York und auf Capri. Zuletzt wurde die gesamte Sammlung 2012 in einer große Ausstellung in der Kunsthalle Memmingen präsentiert, begleitet von einem umfangreichen Katalog.

Literatur (Auswahl):

Ulrich Pohlmann (Hg.), Wilhelm von Gloeden. Sehnsucht nach Arkadien, Ausst.kat. Fotomuseum im Stadtmuseum München, Berlin 1987

Peter Weiermeier, Guglielmo Plüschow, Köln u.a. 1993

Peter Weiermeier, Wilhelm von Gloeden. Erotische Photographien, Köln u.a. 1994

Italo Zannier (Hg.), Wilhelm von Gloeden. Fotografie. Nudi. Paesaggi. Scene di Genere, Ausst.kat. Palazzo della Ragione, Mailand u.a., Florenz 2008

Joseph Kiermeier-Debre/Fritz Franz Vogel (Hg.), Wilhelm von Gloeden - auch ich in Arkadien. Die Sammlung Heinz Peter Barandun, Ausst.kat. Kunsthalle Memmingen, Köln 2008

(1) Weiermair 1994, a.a.O., S. 8.
(2) Weiermair 1993, a.a.O., S. 7.
(3) Pohlmann 1987, S. 8
(4) Weiermair 1994, a.a.O., S. 8
(5) Pohlmann 1987, a.a.O., S. 34
(6) Heinz P. Barandun, Vollendet an Leib und Seele, in: Kiermeier-Debre/Vogel 2008, S. 8.
(7) Eine vollständige Dokumentation der Sammlung mit ihren über 800 Werken findet sich bei Kiermeier-Debre/Vogel 2008, S. 198-205.
(8) Später wurde der Nachlass an den neapolitanischen Galeristen Lucio Amelio verkauft. Hierher stammen die Nachlassbestände, die heute im Museo Nazionale Alinari della Fotografia in Florenz aufbewahrt werden.