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Lot 253 Nα

Alexej von Jawlensky - Heilandsgesicht

Auktion 1110 - Übersicht Köln
01.06.2018, 17:00 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 400.000 € - 500.000 €

Alexej von Jawlensky

Heilandsgesicht
Um 1919

Öl auf festem Papier mit Leinenprägung (36,6/36,9 x 26,2/26,7 cm), auf schwarz bemalten Karton aufgezogen 38,4 x 28,1 cm Gerahmt. Unten links hellgrau monogrammiert 'A.J.'.

Mit Ausbruch des I. Weltkrieges war Jawlensky gezwungen, Deutschland zu verlassen, er siedelte in die Schweiz über, wo in St. Prex am Genfer See die erste seiner grossen Bildfolgen, die „Variationen“ auf ein landschaftliches Thema entstanden. Ausgehend von dem Natureindruck, den der Ausschnitt seines Fensters gewährte, deklinierte er eine in Ausschnitt, Komposition und Detail gewonnene Grundform, die ihm künstlerisch tendenziell immer „reiner“ und abstrakter im Sinne einer formalen Essenz geriet. Es ging um substantielle Konzentration und Ausdruck einer „inneren Notwendigkeit“, die auch beim Rezipienten, dem Kunstbetrachter, eine entsprechende Resonanz und eindeutige Aufnahme finden sollte. Die einzelnen individuellen Meisterwerke näherten sich ideell einem „Urbild“ (vgl. Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Köln 1959, S. 91 ff., S. 96). Ähnliche Prozesse künstlerischer Gestaltung sind in den folgenden Serien der wenig später in der Schweiz entstandenen „Mystischen Köpfe“, der „Heilandsgesichter“ und der „Abstrakten Köpfe“ angelegt und zuletzt in den immer glutvoller und zeichenhafter werdenden „Meditationen“ des Wiesbadener Spätwerks (Vergleichsabb. 6).
Unser außergewöhnliches wie einzigartiges „Heilandsgesicht“ von um 1919 zeigt seine Verwandtschaft und seine Unterschiede zu allen anderen vergleichbaren Arbeiten der erwähnten Serien: sich 1917 dem menschlichen Antlitz als Thema wieder zuwendend, porträtiert Jawlensky z.B. Emmy Scheyer zunächst mehrfach. Vom Individualporträt ausgehend wandelt sich ihr abstrahiertes Bildnis zum „Mystischen Kopf", dem aber noch etwas Naturhaft-Anatomisches anhaftet (Vergleichsabb. 1). Noch im gleichen Jahr entsteht die erste frühe Formulierung des Themas „Heilandsgesicht“ (Vergleichsabb. 2), die - freier und malerischer in der Faktur angelegt - von ganz anderem Ausdrucksgehalt als unsere Arbeit ist, aber mit dem entscheidenden Momentum der „offenen Augen“ und mit der neuen streng frontal angelegten Symmetrie. Jawlensky entwickelt in einer nächsten Stufe die Komposition „Abstrakter Kopf: Urform“, 1918 (Vergleichsabb. 3). Diese stark mathematisch-geometrisierte Fassung wird in den Zwanziger Jahren zur beherrschenden Grundform des Oeuvres (Vergleichsabb. 5). Unser „Heilandsgesicht“ in seinen zart angelegten Farben, hierin verwandt der lichten Transparenz der 1919 entstandenen „Erleuchtung“ (Vergleichsabb. 4), steht in der Anlage vermittelnd zwischen diesen verschiedenen, beispielhaften formalen Positionen.

Clemens Weiler hat die Übergänge und Zusammenhänge zwischen den Werkfolgen gültig beschrieben:
"Jawlensky hatte sich mit den Variationen das Rüstzeug geschaffen, die Chiffre für den inneren Klang eines Naturwesens zu finden. Es war nur folgerichtig, daß er den jahrelang durch stete Übung erstrebten Zusammenklang nur im menschlichen Gesicht darstellen konnte, denn dort ist das einzige Feld, wo innen und außen, Mensch und Welt, Natur und Seele sich begegnen, wo im wahrsten Sinne des Wortes ‚Religion' stattfindet. Das menschliche Antlitz konnte aber nur ein solches sein, auf dem sich die ganz persönlichen Schicksale zu einer überpersönlichen, allgemeinmenschlichen Bedeutung erhoben. Die damit notwendig verbundene Abstraktion war kein Prozeß der Eliminierung oder gar Sublimierung, sondern der Potenzierung. Die entstandene Chiffre war nicht das Resultat einer von außen her logisch herausgezogenen Abstraktion, sondern einer von innen her vorgenommenen Verdichtung. So wurden ‚Heiligengesichte' und dann ‚Heilandsgesichte'. Jawlensky schrieb selbst darüber: ‚einige Jahre malte ich diese Variationen, und dann war mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, daß die große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll. Und das konnte ich nur in das menschliche Antlitz bringen. Ich verstand, daß der Künstler mit seiner Kunst durch Formen und Farben sagen muß, was in ihm Göttliches ist. Darum ist das Kunstwerk ein sichtbarer Gott, und die Kunst ist ‚Sehnsucht zu Gott'. ‚ C.G. Jung hat dargestellt, wie Christus den Archetypus des Selbst veranschaulicht, das heißt die Ganzheit des einzelnen Menschen und damit der ganzen Menschheit, alles dessen, was Menschenantlitz trägt, repräsentiert. Jawlensky fand die von ihm und seinem Kreis stets gesuchte Synthese in der Gestalt Christi.“ (Clemens Weiler 1959, op. cit. S. 102/103).

Unsere Fassung des "Heilandsgesichts" zeigt eine ungewöhnlich starke Expressivität in der Formulierung der Augenpartie, sie hat Qualitäten, die man als ein "heiliges" Anschauen, als einen fast kommunikativ angedeuteten Blick empfinden kann. In religiösem Kontext erinnern Jawlenskys „Heilandsgesichter“ nicht nur an russische Ikonen, sondern auch an die auratische, frühromanische Kunst mit ihren gelängten Gestaltproportionen. Doch stellt Clemens Weiler fest: „Die alte Ikone war das Abbild einer überpersönlichen Idee und durfte und mußte sogar gerade deswegen immer unverändert bleiben. Das Christusbilde Jawlenskys ist in diesem Sinne keine Ikone.“ (Clemens Weiler 1959, op. cit., S. 103).

Emmy Scheyer fasste es noch anders, dem Glauben enthoben und dennoch allgemein: „Jawlensky hat den menschlichen Kopf als solchen in eine Sprache des abstrakten Lebens transponiert, hat ihn aus seinem Erdendasein herausgehoben, um die Seele und den Geist zu manifestieren. Die neuen Gesetze, die er dabei gefunden hat, sind mathematische. Er hat die Gesetze der anderen Künste in seine Bilder hineingenommen: die Architektur in den Gleichgewichten der Farben, die Musik in dem klanglichen Rhythmus der Farben, den Tanz als Linie der Farben, die Skulptur als Form der Farben, die Poesie als Inhalt oder als Wort der Verkündigung der Farben, die Malerei aber als symphonische Zusammenfassung.“ (zitiert nach Clemens Weiler 1959, op. cit., S. 106).

Werkverzeichnis

M. Jawlensky/ Lucia Pieroni-Jawlensky/A. Jawlensky 1081

Zertifikat

Wir danken Angelica Jawlensky, Muralto, für freundliche Informationen.

Provenienz

Vermutlich Nina Kandinsky; Frankfurter Kunstkabinett, Hanna Bekker vom Rath (1955 dort erworben); seitdem in Familienbesitz, Privatsammlung Schweiz

Ausstellung

Zürich/ Lausanne/ Duisburg 2000/ 2001 (Kunsthaus Zürich/ Fondation de l'Hermitage/ Wilhelm Lehmbruck Museum ), Jawlensky in der Schweiz, o. Kat. Nr. mit Farbabb.