Piero Manzoni - Achrome - image-1
Piero Manzoni - Achrome - image-2
Piero Manzoni - Achrome - image-1Piero Manzoni - Achrome - image-2

Lot 617 D

Piero Manzoni - Achrome

Auktion 1111 - Übersicht Köln
02.06.2018, 14:00 - Zeitgenössische Kunst I
Schätzpreis: 400.000 € - 500.000 €
Ergebnis: 844.000 € (inkl. Aufgeld)

Piero Manzoni

Achrome
Um 1958

Gefaltete Leinwand und Kaolin. 50 x 40 cm. In Plexiglaskasten gerahmt. Rückseitig auf dem Keilrahmen von fremder Hand bezeichnet "PieroManzoni `59". - Mit geringfügigen Altersspuren.

Piero Manzoni (1933-1963) zählt ohne Zweifel zu den wichtigsten Künstlern der italienischen Nachkriegszeit. Nur wenige Jahre bleiben ihm, um sein vielschichtiges, schillerndes, provozierendes und bisweilen seine Betrachter verstörendes Schaffen zu entwickeln und mit seinem folgenreichen Beitrag den radikalen Wandel der Kunst um 1960 anzustoßen. Wer kennt nicht die Provokation an der Gesellschaft zur damaligen Zeit auf die Spitze ausgereizt mit der im Kunsthandel erhältlichen, handlichen 90 Dosen zu je 30 Gramm merda d'artista - Künstlerscheiße! Das Konzept Provokation war aber nur ein künstlerisches Mittel, mit Lucio Fontana oder mit Yves Klein öffnet Manzoni ein neues Kapitel der Avantgarde: er erweitert Theorien und Tendenzen der abstrakten Malerei um Konzeptkunst und Performance, eine damals herausfordernde Bildsprache, die sich mit einer vollkommen eigenständigen Formulierung emanzipiert. Manzoni „tritt“ in die Welt, um sich selbst zu verwirklichen, durch eine verwandte Materie Bilder oder eine ästhetische Struktur zu erarbeiten und um sich körperlich zu engagieren mit seinem persönlichen Habitus und Verhalten. Manzoni handelt wie Yves Klein im Grenzbereich zwischen täglicher Kunst und täglichem Leben. Beide Künstler setzen ihren Körper ein, spielen mit dem Klang ihrer Stimme, um ganz authentisch zu sein, „nur zu sein“, so ein Ausspruch von Piero Manzoni.
Ein formales Prinzip letztlich auch, das damals von vielen Künstlern auf unterschiedliche Weise angewendet wird, etwa in Deutschland von den ZERO-Künstlern Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker oder jenen, die die Wege von ZERO anverwandt kreuzen, eben in Italien mit Lucio Fontana, Piero Manzoni, Enrico Castellani, Gianni Colombo und anderen, in Frankreich mit Yves Klein, François Morellet und Jesús Rafael Soto oder in den Niederlanden mit Armando und Jan J. Schoonhoven um nur wenige zu nennen. In der Überwindung des informellen Gestus suchen diese Künstler eine neutrale Bildform, die auf keinen malerischen Vorgang oder bedingt malerisches Element bezogen ist.
So gesehen sind Manzonis früheste Werke eine Art Akt der Wahrnehmung, etwa Scheren oder Zangen auf Leinwand: Bild und Materie spiegeln Manzonis Bewusstmachung einer alltäglichen Realität. Schon bald reduziert er diese optischen Bezüge und lässt sie fallen etwa zu Gunsten des hier vorgestellten Werkes: Es gehört zu den sogenannten Achromes, eine umfangreiche Werkreihe - etwa mit den Concetto spaziale Lucio Fontanas vergleichbar -, die seit etwa 1957 Manzoni beschäftigt. Mit dieser ihm eigenen Wortschöpfung und Betitelung entsprechender Arbeiten zielt der Künstler auf die in den Vereinigten Staaten sich aus dem abstrakten Expressionismus ableitende, monochrome (einfarbige) Malerei, deren Vielschichtigkeit er mit seinen - a chromen - ‚unfarbigen', aber keineswegs farblosen „Falten und Strukturen“ auf Holz, Leinwand und anderen Trägern erweitert. „Das Achrom ist also das gegenständliche Leben“, so der in Genua geborene Kunsthistoriker Germano Celant im Katalog der Kölner Galerie Karsten Greve, „[es] kann als Einheit und Moment verstanden werden, aber auch als homogene Folge eines einzigen Wesens, das sich in Zeit und im Raum entwickelt. Auf den ersten Blick kann es im Laufe der Jahre Unterschiede im Material und in der Art aufweisen, aber seine Ausdrucksform setzt sich fort; ist Ausdruck einer lebendigen dynamischen Anwesenheit. Zweifellos kann man deshalb das Achrom als konkretes Wesen sehen, das, wie das Wesen Piero Manzoni, bleibende Spuren hinterläßt.“ (Germano Celant, in: Piero Manzoni, Arbeiten von 1957-1961, Galerie Karsten Greve, Köln 1981, S.41). Das Achrome beherbergt also eine individuelle Geschichte: die Leinwand ist auf sich zurückgestellt, wesenhaft und anonym zugleich und ohne Farbe. So bietet das Achrome auch Räume für den Einsatz weiterer, typischer Materialien des Künstlers: Watte, Glasfaser, Brot, Felle, Stroh, Polystyrol und anderes mehr. „Ein Bild“, so Manzoni, „ist gültig insoweit, als es totales Sein ist; es braucht nichts auszusagen, nur zu sein; zwei Farben oder zwei Tönungen der gleichen Farbe sind bereits in Beziehung, die der Bedeutung der Oberfläche fremd ist, die als einzige unbegrenzt und absolut dynamisch ist.“ Germano Celant in: Piero Manzoni. 1933-1963 Ausst.Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus München u.a., München 1973, o.S.). Mit in Gips oder in diesem Fall in Kaolin (weiße Porzellanerde) getränkte Stoffe, wie hier in diesem Bild horizontal gefaltet und über einen Träger gezogen, entzieht sich Manzoni der Malerei im klassischen Sinn; in ihrer subtilen Objekthaftigkeit bricht Manzoni die Strenge ebenmäßiger Fläche, die nicht zuletzt in der Verteilung von Licht- und Schattenszonen die Oberfläche raffiniert belebt und öffnet mit den verschiedenen Valeurs eines Tones, eine an und für sich ‚unmalerische', jedoch ungemein sinnliche Geste.

Werkverzeichnis

Celant (2004) 185
Battino/Palazzoli (1991) 305 BM
Celant (1975) 65 cg

Provenienz

Galleria Regis, Finale Ligure (mit rückseitigem Stempel); Sammlung Sesia, Turin; Galerie Karsten Greve, Köln; Privatbesitz, Nordrhein-Westfalen

Ausstellung

Köln 1981 (Galerie Karsten Greve), Piero Manzoni, Arbeiten von 1957-1961, Ausst.Kat.Nr.16, o.S. mit Abb.