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Lot 201 Dα

Lesser Ury - Nächtliche Straßenszene, Berlin (In den Zelten)

Auktion 1121 - Übersicht Köln
30.11.2018, 17:00 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 80.000 € - 120.000 €
Ergebnis: 124.000 € (inkl. Aufgeld)

Lesser Ury

Nächtliche Straßenszene, Berlin (In den Zelten)
Um 1915/1920

Öl auf Leinwand 51,3 x 36,5 cm Gerahmt. Unten rechts schwarz signiert 'L. Ury' - Kurze Leinwandschnitte unmittelbar an den Keilrahmenecken.

Lesser Ury, der Meister nächtlicher Großstadtszenen! Es wäre ungerecht, den Künstler allein auf dieses Genre zu reduzieren. Aber neben den impressionistischen Seelandschaften rund um Berlin, köstlichen Porträts und Caféhausszenen, sind es doch die Straßenszenen, mit denen Ury das nächtliche Treiben Ausgehsüchtiger und Flaneure entlang der Boulevards schildert: möglichst im Regen, im spiegelnden Gegenlicht der Droschken und Gaslaternen. Dieser Art Bilder fallen einem ein, wenn man seinen Namen hört oder liest, sie sind zu einer großartigen wie unnachahmlichen Marke des 1861 in Birnbaum bei Posen geborenen Künstlers geworden.
Nach dem Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf und einer Grand Tour über Brüssel, Antwerpen und Paris lässt sich Ury 1887 in Berlin nieder. Es wird nicht einfach für ihn, sich gegen die Berliner Platzhirsche durchzusetzen, etwa gegen Max Liebermann, mit dem er sich nach anfänglicher Freundschaft überwirft. Adolf von Menzel, der Berliner Chronist, hingegen bewundert und fördert den stillen wie persönlich zurückhaltenden Kollegen nach dessen erstem umfangreichen und von den Kritikern gescholtenen Auftritt in der Galerie von Fritz Gurlitt im Jahr 1893, und auch Lovis Corinth bemüht sich um den Stadtchronisten, als dieser 1911 das Präsidentenamt der Secession von Liebermann übernimmt. „In Berlin wird Ury vom Naturalisten zum Impressionisten, indem er die malerischen Schönheiten der Nacht entdeckt, wenn er in den Straßen und Caféhäusern die Lichter aufflammen. Mit unwiderstehlicher Gewalt packt ihn das magische Licht, das im Schein gelblich fahler Gaslaternen Menschen und Wagen wie Schatten aus dem Dunkel oder dem Schleier niederprasselnden Regens auftauchen und, im einzelnen kaum erkennbar, sich auf dem nassen Asphalt widerspiegeln läßt.“ (Karl Schwarz, Lesser Ury. Ein Essay, in: Hermann A. Schlögl, Lesser Ury, Zauber des Lichts, Kat. Ausst. Käthe-Kollwitz-Museum, Berlin 1995, S. 78). Lesser Ury bevorzugt nun belebte Straßen, exponierte Plätze wie den am Brandenburger Tor oder den Potsdamer Platz, und er besucht als aufmerksamer Beobachter stadtbekannte Etablissements wie „In den Zelten“.
Der Bildtitel verweist auf einen historischen Ort, ein heute nicht mehr bestehender Straßen-Bereich im Parlament- und Regierungsviertel im Bezirk Tiergarten. Friedrich II. genehmigte dereinst den Aufbau von Leinenzelten, in denen Erfrischungen für Spaziergänger und Ausflügler angeboten wurden. Die im Winter abzubauenden Zelte wandeln sich im Laufe der Jahrzehnte zu festen Bauten, die eine ganzjährige Versorgung von Flaneuren und Vergnügungssüchtigen ermöglichen. Ury schildert eine typische Szene im regnerischen Herbst mit einem Pavillon am Rand eines breiten Trottoirs; eine glitzernde Lichtkette oberhalb dem Gesims und ein großes, knallrot gehaltenes Plakat an der Fassade soll die Aufmerksamkeit für das innen Gebotene steigern. Passanten hasten entlang der Baumallee, eine Motor-Droschke hält an und spendet Licht auf den dunklen Straßenbelag, eine kleine Bahn verliert sich in die Tiefe der Nacht.
Lesser Ury steigert sich zu einem feinsinnigen Voyeur menschlichen Treibens aus der Ferne. Gleichzeitig geben seine Bilder Zeugnis über die Jahre bis zu seinem Tod 1931 von der Entwicklung Berlins in eine moderne Großstadt ohne dabei die sozialen Probleme herauszustellen. Die Großstadt als malerisches Motiv, in dem Bewegung, Tempo, Licht und Dunkelheit regieren, fasziniert ihn.


Vergleichsabbildung: Historische Photographie, Berlin Potsdamer Straße 1910

Zertifikat

Mit einer Foto-Expertise von Sibylle Groß, Berlin, vom 12. Juni 2017. Das Gemälde wird in das Werkverzeichnis aufgenommen.

Provenienz

Sammlung Jakob Gottschalk, Berlin; Familienbesitz Brasilien; Privatsammlung Israel; Privatsammlung