Gabriele Münter
Blumenstilleben
1956
Öltempera auf festem glatten Papier 30,7 x 42,9 cm Unter Glas gerahmt. Am unteren Rand links mit Bleistift datiert und bezeichnet 'B.B.10/56' sowie zur Mitte der Darstellung hin mit dem Monogramm-Signum 'MÜ' versehen. - Der chamoisfarbene Bogen minimal uneben geschnitten, im Kantenbereich leichte Verbräunungen.
Das Stillleben, insbesondere das Blumenstillleben, erscheint im Oeuvre von Gabriele Münter als eines ihrer großen zentralen Themen. Arrangement, Stilistik und Farben der individuellen Bildfindung zeugen von den Möglichkeiten des Sujets in Bezug auf die moderne Malerei, so wie sie sich vom "Blauen Reiter" her neu deklinierte, weit jenseits von Botanik und klassischem Naturstudium. Münter wird zweifellos durch die eigene Sammlung von Volkskunst und Hinterglasbildern, die sie kopierte und paraphrasierte, auf die Ursprünge menschlicher Kreativität und des einfachen Schmuckbedürfnisses gestoßen sein. Auch sie hat diese Dinge wie ihre Malerfreunde als authentische Zeugnisse der Gestaltung empfunden und interessiert studiert, vor allem mit frischem Auge betrachtet. Diese Zeugnisse gerieten zum Vorbild, vergleichbar einer der eigenen Kunst unterlegten heimlichen Matrix (s. Vergleichsabb.).
Im Spätwerk der 1950er Jahre legt Münter ihre Blumenstillleben gerne als sog. "farbige Zeichnungen" in Öl auf Papier an und verteilt in großzügiger Komposition auf weißem Grund die abstrahierten Blütenformen in immer neuer Variation (vgl. Annegret Hoberg/Helmut Friedel, Gabriele Münter, Retrospektive. Ausst. Kat. Lenbachhaus, München 1992, Kat. Nr. 248, S. 296). Unter Betonung der Umrisse bündelt und scheidet sie gleichzeitig die Formen, betont den möglichen Reichtum der Sträuße in bis zu sieben verschiedenen Blütenarten und beschränkt dabei die Farbgebung auf klare Komplementärfarben, die dem Betrachter entgegenleuchten. Besonders gelungene Werkbeispiele pflegte sie bekanntermaßen auch selbst zu kopieren. Auch Tuschfederzeichnungen dieser Zeit zeigen eine intensive Beschäftigung mit komplexen, verdichteten Blumenstillleben. Im vorliegenden Blatt besticht die sehr freie und lebendige Komposition nicht zuletzt durch symmetrische Anklänge des Arrangements. Münter bringt die Unruhe einer quasi "natürlichen" Gruppierung durch ihre Künstlichkeit und ihre Kunst zum harmonischen Ausgleich ohne die Stärke des unmittelbaren Ausdrucks zu verlieren.
Vergleichsabbildung: „Bayerisches Spiegelbild St. Martin“, Frontispiz im Almanach „Der Blaue Reiter“
Gabriele Münter, Der heilige Martin und der Bettler, Aquarell nach einem Spiegelbild, 1911/1912
Aus: Brigitte Salmen (Hg.), Der Almanach „Der Blaue Reiter“, Bilder und Bildwerke in Originalen, Ausst. Kat. Schloßmuseum Murnau 1998, S. 90 © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Zertifikat
Mit einer Bestätigung von Isabelle Jansen, Gabriele Münter - und Johannes Eichner-Stiftung, München, vom 18. Juli 2017; die Arbeit ist in dem Arbeitsheft der Künstlerin von 1956 unter der Nr. BB 10 verzeichnet.
Provenienz
Privatbesitz Rheinland (höchstwahrscheinlich von der Künstlerin direkt erworben); Lempertz Auktion 589, Kunst des XX. Jahrhunderts, 5. Juni 1982, Los 468; seitdem Privatsammlung Rheinland