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Lot 285 D

Kurt Schwitters - Das Gustav Finzlerbild

Auktion 1134 - Übersicht Köln
31.05.2019, 17:00 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 400.000 € - 600.000 €
Ergebnis: 496.000 € (inkl. Aufgeld)

Kurt Schwitters

Das Gustav Finzlerbild
1926/1936

Öl und Holz auf Holz (Assemblage) 73,7 x 61 cm Gerahmt. Rückseitig mit Bleistift signiert, datiert und betitelt 'Kurt Schwitters 1926/36 Das "Gustav Finzler"=Bild'. - Wenige minimale Farbverluste.

Kurt Schwitters, der Maler, Grafiker, Bildhauer, Raumkünstler und Dichter gehört zu den inspirierensten Künstlern der Moderne nach dem Ersten Weltkrieg. Seine unkonventionelle, bisweilen dadaistische Kreativität, Dinge jedweder Materialität in Beziehungen zu binden, Sprache in einzigartige Poesie zu übersetzen, Skulpturen in geheimnisvollen Räumen zu denken und nicht zuletzt mit dem „Gustav Finzlerbild“ die Hard-Edge Malerei vorwegzunehmen, überrascht jede Begegnung mit seinem faszinierenden Werk.

1887 in Hannover geboren, beginnt Kurt Schwitters seine künstlerische Laufbahn im „klassischen“ Sinn; er orientiert sich am Expressionismus, entdeckt den Kubismus und Futurismus für sich und fühlt sich nach Abschluss seines Studiums in Dresden im Jahr 1914 zu dem Umfeld der Sturm-Künstler der gleichnamigen Galerie Herwarth Waldens in Berlin hingezogen; dort zeigt er 1919 seine ersten Merzbilder und veröffentlicht „Die Merzmalerei“ in der Zeitschrift Der Sturm. Im „Berliner Börsen-Courier“ sieht Theodor Däubler in Kurt Schwitters 1919 einen „der stärksten Künstler, denen lebensfähige Abstraktion gelingt“ (Theodor Däubler, zit. nach Ernst Nündel, Schwitters, Reinbek 1981, S. 146).
Den Ersten Weltkrieg verbringt Schwitters in Hannover. Noch 1917 wird er eingezogen, aber alsbald als untauglich für den Kriegsdienst wieder entlassen. Schwitters fühlt die ganze Macht der sich ankündigenden Veränderung und sucht nach einer entsprechenden Sprache für sein breites Prisma an Gedanken. Von den Aktivisten, die das Ende des Krieges für eine politische wie gesellschaftliche Wende auf ideologische Fundamente stellen, will Schwitters sich nicht vereinnahmen lassen. Ihm geht es um eine künstlerische Revolution und er ist gegen Politisierung. Dennoch, eine dadaistische, antibürgerliche Position bleibt fest verankert in Schwitters Arbeiten und Texten. Gemäß seiner These: „Dada und Merz sind einander durch Gegensätzlichkeit verwandt“ (Friedhelm Lach (Hg.), Kurt Schwitters. Das literarische Werk, München 2005, Bd. 5, S. 142). Er übernimmt 1921/1922 eine tragende Rolle bei den Konstruktivisten und zieht mit Hans Arp, Theo van Doesburg, Raoul Hausmann, El Lissitzky, László Moholy-Nagy, Hans Richter, Tristan Tzara und anderen von Düsseldorf nach Weimar, um dort die „Konstruktivistische Internationale“ zu gründen, und dies auch mit einem kleinen Seitenhieb auf die dort selbst agierende Bauhausbewegung. Die Strenge von Konstruktion und Geometrie seiner Freunde wird er in seinen Montagen und Assemblagen höchstens anklingen lassen, hingegen in dem ihn zeitlebens beschäftigenden Konstrukt „Merzbau“ großzügig Referenz erweisen.
Kurt Schwitters, der Konstruktivist, der Merzbauer ist auch ein bisschen Dada! Mit beiden Richtungen setzt sich Kurt Schwitters zeitlebens auseinander und im Sinne der Dada-Bewegung erfindet er für sich die Merz-Bewegung. „Merz bedeutet Beziehungen schaffen, am liebsten zwischen allen Dingen der Welt“, so der Künstler. Für eine seiner ersten Collagen beschneidet Schwitters den Schriftzug einer Bankhaus-Reklame „Kommerz und Privatbank“ und klebt den Rest mit der Silbe „Merz“ nahezu zentrisch in die gerahmte Komposition aus teilweise übermalter Pappe, Papier, Zeitungsausschnitten, Holz und Maschendraht. Der Titel für zahlreiche, nicht immer so betitelte Arbeiten dieser Art ist gefunden und wird namengebend für sein breites und vieldeutiges Schaffen. Fundstücke, ungeahnter Materialität, auch die der gesetzten Sprache, ordnet und übermalt Schwitters mit expressiver Wirkung zu veritabel gerahmten Tafel-Bildern. „Das Wort Merz bedeutet wesentlich“, so der Künstler, „die Zusammenfassung aller erdenklichen Materialien für künstlerische Zwecke und technisch die prinzipiell gleiche Wertung der einzelnen Materialien.“ (Lach 2005, op.cit., Bd. 5, S.37).

Zu dem vielleicht skurrilsten Werk des Künstlers gehört sicher der wohl 1923 begonnene „Merzbau“: sein Lebenswerk! Auch in Norwegen und später in England wird Schwitters sich dieser fixen Idee, die wie ein roter Kunst-Faden sein Werk umwickelt, widmen. Fantastisch, verwirrend wie ein abstraktes, in den Raum komponiertes Gemälde mit vielfältig verbauten plastischen Formen, Fundstücken, Spolien und Reliquien aus anderen Zusammenhängen, verbaut oder hängend in grottenähnliche Nischen (s. Vergleichsabb.). Schwitters unterstellt die zumeist uni weißgefassten Holz- und Gipsformen spielerisch der konstruktivistischen Idee; sicher übt er einen Gegenentwurf zur politischen Wirklichkeit und sicher auch versteckt er darin sein biographisches Weltbild voller (romantischer) Erinnerungen. Räume, Kunsträume, vielleicht Rückzugsräume als Kunstraum zu gestalten markiert den Beginn für das Environment der Moderne und findet gleichzeitig eine Erwiderung in Entwürfen mit Grotten und Höhlen eines Hans Arp oder einer Hannah Höch; mit beiden pflegt Schwitters regen Austausch. Und dieser Kunstraum hat eine geistige Entsprechung in den Proun-Räumen von El Lissitzky mit dessen streng experimentell gehaltenen Konstrukten, eine Weiterführung des „Suprematismus“ in die dritte Dimension. In diesem Zusammenhang sind 1926 auch die beiden eng verwandten, collageartigen Gemälde entstanden: Das "Albert Finzlerbild” (Orchard/Schulz 1358. Albert Finzler ist Zahnarzt in Bad Ems. Schon die Eltern von Kurt Schwitters verbringen dort ihren Urlaub) und das hier vorzustellende „Gustav Finzlerbild” (Orchard/Schulz 1359. Kurt Schwitters erhält den Spitznamen Gustav Finzler; der Name Finzler taucht nicht in den Texten und Briefen auf. Dankenswerter Hinweis von Isabel Schulz, Kurt Schwitters Archiv, Hannover), als eine aus Farbflächen räumlich erdachte Modulation, vielleicht sogar einem Detail der vielschichtigen Merzbau-Architektur nachempfunden und in gegensätzliche Farbflächen ausgedacht. Im Gegensatz zu den üblich geklebten oder wie hier einmal genagelten Assemblage aus den unterschiedlichen Materialien übt Schwitters den malerischen Weg und findet mit Hilfe der Trompe-l'oeil-Technik den Raum, in dem er ein Detail nachstellt und die Wirkung in der Malerei erprobt.
Die von Peter Bissegger 1981-1983 durchgeführte Rekonstruktion des 1943 zerstörten Merzbaus für das Sprengel Museum in Hannover fordert erstmals, sich das Konstrukt Schwitters' mit farbigen Kuben zu Wänden aufgetürmt vorzustellen, versetzt mit Nischen und Verdachungen (vgl. http://www.merzbaurekonstruktion.com).
In dem „Gustav Finzlerbild“ könnte sich im Blick vorbei an eine grün gehaltene Marmor-Säule rechts mit angedeutetem Kapitell in den tieferen Raum mit Gewölbe und Schrägen, das auffallend gesimsartige Gebilde, die Wandflächen optisch schneidend ein Detail des Merzbaues spiegeln, aus der Dreidimensionalität in die Fläche der Malerei gedrückt und dennoch räumlich in den Kontrasten von Grün zu Weiß, von Gelb zu Schwarz, von Rot, Blau zu Grau. Flächen unterschiedlichen Ausmaßes stoßen wie im Relief aneinander, stützen sich gegenseitig im architektonischen Gebilde, ganz dem historischen Merzbau entsprechend. „Das Gustav Finzlerbild“ ein Merzbaudetail, die Erprobung der Formen, Kuben und Wände in Farbe? Im Werk von Schwitters findet der Betrachter vereinzelt diese streng konstruktive Komposition: Streng - sicher nicht im Sinn eines van Doesburgs, Mondrians oder Lissitzkys. Allerdings gibt der markant architektonische Bezug des „Gustav Finzlerbildes“ die vielschichtige Arbeitsweise des Künstlers und seine erfindungsreiche Erprobung für das große Thema Assemblage Merzbau wieder und ist deswegen von so großer Bedeutung für sein Werk. Dass „Das Gustav Finzlerbild“ sich seit 1956 über 20 Jahre in Besitz des amerikanischen Künstlers Leon Polk Smith (1906-1996) befindet und für einen der Begründer der Hard-Edge Malerei anregend gewesen ist, ist eine weitere bemerkenswerte Auszeichnung.

Werkverzeichnis

Orchard/Schulz 1359

Provenienz

Oskar Müller und Annie Müller-Widmann, Basel (1935-1952, zur Aufbewahrung); Ernst Schwitters, Lysaker, und Edith Thomas, London (1948); Sidney Janis Gallery, New York (1952-1956); Leon Polk Smith, New York (1956-1970/77); Galerie Gmurzynska, Köln (1977); Privatsammlung Berlin

Literaturhinweise

Cercle et carré No, 2, L5.IV.1930, mit Abb.; Abstraction Création Art non figuratif No. 1, 1932, S. 33 mit Abb.; Ausst. Kat. X Years of Janis. 10th Anniversary Exhibition, Sidney Janis Gallery, New York 1958, Kat. Nr. 62 (vermutlich nicht ausgestellt); Harriet Janis und Rudi Blesh, Collage. Personalities, Concepts, Techniques, Philadelphia/New York 1962, Kat. Nr. 74; Werner Schmalenbach, Kurt Schwitters, Köln 1967, mit Farbabb. S. 209; Michel Seuphor, L'Art abstrait, Paris 1972, Kat. Nr. 21 mit Abb. S. 145

Ausstellung

Basel 1948 (Galerie d'Art Moderne), Gedächtnisausstellung Kurt Schwitters; New York 1952 (Sidney Janis Gallery), Collage, Painting, Relief and Sculpture by Schwitters, Kat. Nr. 59; New York 1955 (Sidney Janis Gallery), New Arrivals from France. From Picasso to Giacometti; New York 1956 (Sidney Janis Gallery), Kurt Schwitters, Kat. Nr. 28; New York 1963 (Galerie Chalette), Kurt Schwitters, Kat. Nr. 33; New York 1973 (Marlborough Gallery); Köln 1978 (Galerie Gmurzynska), Kurt Schwitters, Kat. Nr. 30 (mit rückseitigem Klebe-Etikett)