Paula Modersohn-Becker - Kinder zwischen Birkenstämmen - image-1

Lot 22 Dα

Paula Modersohn-Becker - Kinder zwischen Birkenstämmen

Auktion 1155 - Übersicht Köln
19.06.2020, 18:00 - Moderne und Zeitgenössische Kunst - Evening Sale
Schätzpreis: 180.000 € - 220.000 €
Ergebnis: 337.500 € (inkl. Aufgeld)

Paula Modersohn-Becker

Kinder zwischen Birkenstämmen
1904

Öl auf Pappe, auf Holz aufgezogen 69,5 x 51 cm Gerahmt. Unten rechts rot datiert '04'. - Der Karton in den Rändern unregelmäßig geschnitten. - Unmittelbar am Oberrand mit kleinem Craquelé.

Es war Paula Modersohn-Beckers Mutter in Bremen, die das vorliegende Gemälde besaß und das Gustav Pauli noch als "Kinder unter Birken" führte. Es fasst in der Anlage der Komposition, in den gewählten Farben und in den Vereinfachungen der Angaben beispielhaft die Elemente ihres sich ausbildenden persönlichen Stils zusammen. Paula Modersohn-Becker gelingt es fern jeglicher Sentimentalität und abgehobener Beobachtung im Bildnis menschliche Intimität und Innigkeit auszustrahlen. Dieses Kindermotiv, das so konstitutiv werden sollte, bindet noch situative wie naturgebundene, landschaftliche Momente ein. Dies sollte sich in den Porträts nach 1906, die weitere stilistische und formale Entwicklungen bringen, fast vollständig verlieren, u.a. zugunsten von Darstellungen en face mit attributiven Blumen und Blüten.
Von Anbeginn rang die Künstlerin in ihrer Malerei um einen eigenständigen, spezifischen Ausdruck, der sich neu und wahrhaftig aus ihrer Arbeit ergeben sollte. Der von der Landschaft und ihren Lebensbedingungen geprägte bäuerliche Menschenschlag, auf den Paula Modersohn-Becker in Worpswede traf, geriet ihr buchstäblich zum "Modell", zum Katalysator und zum Prüfstein ureigener Form- und Farbexperimente. Es war eben nicht das, wozu sie noch ihre Mutter anfangs, etwas hilflos, ermahnte: "Nun nagle Dich auch fest, zwinge Dich zu pedantischer Genauigkeit in Händen, Augen, Nasen. Mackensen sprach neulich beim Ansehen Deiner Studien von einem 'lieblosen Ohr'. Das sagte er nicht humoristisch, sondern ernst wie ein Totenrichter." (zit. nach Cornelia Saxe, in: Britta Jürgs, Hg., Wie eine Nilbraut, die man in die Wellen wirft, Berlin 1998, S. 17). Nach ihrer Tochter sollte aber doch dem "Genre" (eines Fritz Mackensen) so etwas wie eine künstlerische "Runenschrift" entgegengesetzt werden (vgl. S. D. Gallwitz (Hg.), Briefe und Tagebücher von Paula Modersohn-Becker, München 1927, S. XI).
Bekanntlich fand Paula Modersohn-Becker in Paris ergänzende und mannigfache, künstlerische Anregung, durch reine Werkbetrachtungen. Am 25. Februar 1903 notierte sie: "Ich sehe sehr viel, und komme, glaube ich, innerlich der Schönheit näher. In den letzten Tagen habe ich viel Form gefunden und gedacht. [...] Die große Einfachheit der Form, das ist etwas Wunderbares. Von jeher habe ich mich bemüht, den Köpfen, die ich malte oder zeichnete, die Einfachheit der Natur zu verleihen. Jetzt fühle ich tief, wie ich an den Köpfen der Antike lernen kann. Wie sind sie groß und einfach gesehen! Stirn, Augen, Mund, Nase, Wangen, Kinn, das ist alles. Es klingt so einfach und ist doch so sehr, sehr viel. Wie einfach in seinen Flächen solch ein antiker Mund erfaßt ist. Dann fühle ich wie ich in der Zeichnung in der Natur viel merkwürdige Formen und Überschneidungen aufsuchen muß. Mir liegt das Gefühl des sich Ineinander- und Übereinanderschiebens der Dinge. Ich muß es nur achtsam ausbilden und verfeinern. Ich will in Worpswede viel mehr zeichnen. Ich will mir die Armenhauskinder oder Familie A. oder Familie N. zu Gruppen stellen. Ich freue mich sehr auf die Arbeit, ich glaube der Aufenthalt hier wird mir sehr gut getan haben." (nach: Gallwitz, op. cit., München 1927, S. 198 f.).

Werkverzeichnis

Busch/Werner 498; Pauli 152 a ("Kinder unter Birken")

Provenienz

Frau Baurat Becker, Bremen (1913); Sammlung Max Lütze, Berlin/Hamburg (1931); Erna Lütze, Stuttgart (1972 als private Leihgabe in der Staatsgalerie Stuttgart, Inv. Nr. L 1095); Privatsammlung Hessen

Ausstellung

Stuttgart 1972 (Staatsgalerie Stuttgart), Sammlung Lütze, Deutsche Kunst des XX. Jahrhunderts, Katalog S. 21 (irrtümlich als auf Leinwand beschrieben); bis 1975 Depositum in der Staatsgalerie Stuttgart (rückseitiges Museumsetikett mit Inventarnummer)