Albert Birkle - Der Bahnwärter - image-1

Lot 3 D

Albert Birkle - Der Bahnwärter

Auktion 1155 - Übersicht Köln
19.06.2020, 18:00 - Moderne und Zeitgenössische Kunst - Evening Sale
Schätzpreis: 80.000 € - 100.000 €
Ergebnis: 824.000 € (inkl. Aufgeld)

Albert Birkle

Der Bahnwärter
1927

Öl auf Pappe 103 x 71,5 cm Gerahmt. Unten links in Sütterlinschrift hellgrau signiert 'A. Birkle'. Rückseitig mit schwarzer Kreide in Sütterlinschrift signiert und betitelt 'Albert Birkle "Der Bahnwärter"'. - Die Ecken bestoßen und mit kleinen Farbverlusten. Partiell mit schwachem Craquelé.

Albert Birkle zählt zu den Malern der Neuen Sachlichkeit, sein Werk hebt sich hier jedoch durch eine einzigartige Bildauffassung hervor. Sie ist geprägt von einer gewissen Düsterkeit und Ambivalenz, seine Bilder zeigen Charakterköpfe und hintergründige Geschichten, die bildlich angestoßen aber nicht aufgeklärt werden. Mysteriös und doppelbödig ziehen sie den Betrachter in ihren Bann - ebenso wie offenbar auch die realen Modelle, die eine große Faszination auf den Maler ausübten. „Mich interessiert nur das Geheimnisvolle, nicht Klare bei Menschen und Dingen. […]. Mich fesselt nicht die Landschaft, deren Konturen eindeutig vor klarem Himmel unter der Sonne stehen und nicht der nichts als gesunde sportliche Typ des Menschen. Da gibt es kein Geheimnis und keine Überraschung.“, schilderte er selbst seine Motivwahl (zit. nach: Ausst. Kat. Salzburger Museum etc., op.cit., S. 24).
Seine Menschentypen sind in bisweilen grotesker, karikierender Überspitzung wiedergegeben. Dennoch beraubt er die Porträtierten nie ihrer Würde. Sie sind im Kontext ihrer Zeit und ihres Umfeldes gesehen, teils umgeben von den Insignien ihrer Tätigkeiten. Ihr persönliches Schicksal und ihr Charakter sind durchaus ablesbar an ihren Gesichtern und Händen, auf die Birkle in seinen Bildern einen besonderen Fokus legt. So wird auch der „Bahnwärter“ von seinem hageren Gesicht und den übergroßen, von harter Arbeit zeugenden Händen gekennzeichnet. Er ist der Typ eines einfachen, genügsamen Arbeiters, die Lachfalten um seine Augen künden durchaus von Humor, der leere Blick aus den auffallend blauen Augen ist jedoch schwer zu deuten. Das kleine Mädchen neben ihm, vielleicht seine Enkelin, scheint nur aus dem ernsten Gesichtchen mit riesigen Augen zu bestehen. Gemeinsam stehen diese beiden unterschiedlichen Personen in irritierendem Kontrast zu dem grauen Koloss der Dampflokomotive und den Details von Schranken- und Signalanlage im Hintergrund. Dem Betrachter bietet sich hier kein Doppelporträt, sondern eine rätselhafte Erzählung, die viele Fragen aufwirft und die unterschiedlichsten Deutungen ermöglicht.
Nikolaus Schaffer schreibt zu diesem Gemälde: „Ihm liegt viel mehr, wenn die sachliche Ebene sich mit einem märchenhaft-metaphorischen, fast naiven Erzählton verbindet, der einem dennoch den Schauer über den Rücken laufen lässt, wie […] beim „Bahnwärter“. Wie hier der biedere Mann und sein Kind mit dem Ausdruck der gespannten Erwartung von etwas Furchtbarem vor den Schranken stehen, während das übermächtige Fatum in Gestalt der schwarzen Lokomotive unausweichlich heranrollt, die Signallichter wie verirrte Himmelskörper glosen, das ist von allen Bilderfindungen Birkles vielleicht die eindrucksvollste.“ (Nikolaus Schaffer, in: Ausst.Kat. Salzburger Museum etc., op.cit., S. 25).

Zertifikat

Wir danken Roswita und Viktor Pontzen, Archiv und Werkbetreuung Albert Birkle, Salzburg, für ergänzende Informationen. Das Werk ist im Werkverzeichnis unter der Erfassungsnummer 203 gelistet.

Provenienz

Bis 1971 im Besitz des Künstlers, danach Kommission Neue Münchner Galerie Dr. Hiepe, München; ab 1974 Privatsammlung Süddeutschland, seitdem in Familienbesitz

Literaturhinweise

W. Seelemeyer, Gespräche im Atelier. Betrachtungen über moderne Malerei, in: Die Räder. Zeitschrift der Technischen Nothilfe, IX. Jg., Nr. 3, Berlin, 15. Februar 1928, S. 85 mit Abb.; Richard Hiepe, Vom Ruhm der Malkunst. Zur Wiederentdeckung des Malers Albert Birkle, in: Bildende Kunst, Heft 7, Berlin 1982, S. 343 ff., mit Farbbeilage; Rudolf Pfefferkorn, Albert Birkle. Leben und Werk, Hamburg 1983, S. 56, mit ganzseitiger Farbabb. 38; Sylvia Kraker, Albert Birkle 1900 - 1986. Diss. phil. Universität Innsbruck, 1992, S. 159, Abb. 44 und Kat. Nr. 433; Nikolaus Schaffer, Albert Birkle, Ausst. Kat., hrsg. v. Salzburger Museum Carolino Augusteum (Monographische Reihe zur Salzburger Kunst Bd. 20), Salzburg 2001, S. 25

Ausstellung

Berlin 1927 (Kunsthandel Johannes Hinrichsen im Künstlerhaus Bellevuestraße), Sonder-Ausstellung Albert Birkle, Kat. Nr. 21; Salzburg 1980 (Museumspavillon im Mirabellgarten), Albert Birkle. Ölmalerei und Pastell, Kat. Nr. 23 mit ganzseitiger Farbabb.