Lesser Ury - Allee im Tiergarten, Berlin - image-1

Lot 30 Nα

Lesser Ury - Allee im Tiergarten, Berlin

Auktion 1155 - Übersicht Köln
19.06.2020, 18:00 - Moderne und Zeitgenössische Kunst - Evening Sale
Schätzpreis: 50.000 € - 70.000 €
Ergebnis: 60.000 € (inkl. Aufgeld)

Lesser Ury

Allee im Tiergarten, Berlin
1920er Jahre

Pastell auf Karton 35 x 49,5 cm Unter Glas gerahmt. Unten links schwarz signiert 'L. Ury'. - In guter farbfrischer Erhaltung. Ein winziger Farbausbruch sowie schwache Bereibungen in den seitlichen Rändern.

Lesser Ury entfaltet in dieser lichten Darstellung eines Fahrdammes zwischen Bäumen seinen ganz eigenen impressionistischen Kolorismus. Die schlichte Wahl des typischen Berliner Motivs erlaubt ihm eine klare wie suggestive Gliederung des Kartons in großzügige Flächen. Alle malerischen Mittel entfalten sich zur Inszenierung eines illusionistischen Zaubers: die intensiven Pastellfarben werden reich ausdifferenziert neben- und übereinandergesetzt, die Pigmente pudrig verwischt, ineinander verrieben und mit kleinteiligen Punkten, Strichen und zeichnerischen Elementen ergänzt, auch der Pinsel kommt zum Einsatz, als mit ihm helle Reflexe in Deckweiß, teils vermischt, teils rein aufgetragen, pointiert gesetzt werden können. Wie häufig bei Lesser Ury entwickelt die Komposition starke Kontraste durch eigenwillige Formalien. Der Rigidität strenger Grundlinien sowie einer konstruierten perspektivischen Flucht, die unverstellt in die Tiefe führt, wird eine wie spielerisch ausgebreitete Duftigkeit des Gesamteindrucks entgegengesetzt, erzeugt durch frei modulierte Licht- und Farbeffekte auf der Straße, auf den dunkel schimmernden Fahrzeugen, im Himmel und auf den Bäumen - scheint man doch hier fast die alten Kronen sich bewegen und rauschen zu hören.
Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang, dass Lesser Ury auch Postkarten und Fotografien zu Hilfe nahm, wie es Carl Schapira schilderte - insbesondere ihm zugesandte Pariser Ansichten halfen zu Beginn der zwanziger Jahre, technische Details wie die neu aufkommende Verkehrsverdichtung und das Automobil zu studieren, Phänomene, die ihm keineswegs, malerisch, zunächst einleuchteten, er musste erst eine anfängliche "Scheu" überwinden: "Es ist eine merkwürdige Gehirntätigkeit, die sich auf das zu malende Objekt vom reinen Standpunkt des Auges, d.h. des Gefühls, nicht aber des Verstandes konzentriert." (Carl Schapira, zit. nach Hermann A. Schlögl, Ury und die moderne Technik, in: Ausst. Kat. Lesser Ury, Zauber des Lichts, Berlin 1995, S. 51).
Das vorliegende Pastell stammt nach der Dokumentation von Sibylle Groß ursprünglich aus dem Besitz des Berliner Rechtsanwaltes Dr. Sally Jacobsohn (1876 Schönlanke/Brandenburg - Houston/Texas 1964), der zunächst 1939 aus Deutschland nach Kuba flüchtete, 1940 in die USA emigrierte und dort unter dem Namen Sam Jacobson eingebürgert wurde. Ein in Wharton/Texas ansässiger Berufskollege, Edward H. Littman, ein Sohn des bekannten Breslauer Sammlers Ismar Littmann, erwarb die Arbeit in den 1960er Jahren (nach den Sammlungsunterlagen der Familie) direkt von Sam Jacobson; sie befindet sich seitdem in Familienbesitz.

Zertifikat

Mit einer Foto-Expertise und einem Gutachten von Sibylle Groß, Berlin, vom 26. März 2020; das Pastell wird in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis zu Lesser Ury aufgenommen. Wir danken Sibylle Groß für die freundlichen Auskünfte nach Vorlage des Originals.

Provenienz

Dr. Sally Jacobsohn (nach US-Einbürgerung 1945: Dr. Sam Jacobson), Berlin/Houston; Edward H. Littman, Wharton,Texas; seitdem in Familienbesitz USA