Lot 76 D

1950 schreibt Asger Jorn an seinen niederländischen Malerkollegen und COBRA-Weggefährten Constant: „In Märchen und Mythen spricht man von Ungeheuern, von fantastischen Tieren und Zeichen. Das sind stets Symbole, die die Menschen sich von realen Phänomenen gemacht haben … die Volkskunst ist stets fantastisch und symbolisch […] Es erscheint mir so, als müsste die ganze pflanzliche und tierische Welt des Symbolismus völlig rekonstruiert werden … Man kann nur zur Wahrheit kommen, indem man seine Fantasie für die unglaubwürdigsten Bilder wie die von Bosch und Breughel einsetzt, aber dann in einer bildnerischen Sprache wie bei den alten Indianern, Wikingern, Primitiven und nicht in einer surrealistisch-naturalistischen Sprache.“ (Asger Jorn, zit. nach: COBRA 1948-51, Ausst.Kat. Kunstverein Hamburg 1982, S.138)
Eine archaische Bildsprache, die der Künstler hier einfordert, setzt er auch in dem hier vorgestellten, zehn Jahre später entstandenen Gemälde ein. Der Titel „Morgenrødt (Dawn)“ gibt eine Thematik vor, die sich durchaus in den orangefarbenen Strahlen der rechten oberen Bildecke und in dem vielfach verwendeten glutroten Kolorit wiederfinden läßt. Darüber hinaus bleibt die Komposition vielfältig lesbar. Eine aufgewühlte, abstrahierte Landschaft erscheint ebenso möglich wie der erhobene Kopf eines Tieres. Jorn widmet sich in seinen Werken dem Mysteriösen und Unbekannten, er strebt eine Uneindeutigkeit an, die sich nicht auflösen lässt. Dazu lässt er dem Zufall während des Malprozesses breiten Raum. Das Zufällige bestimmt das Werk in ebensolchem Maße wie das bewusste Bildkonzept, das ihm zugrunde liegt.