Südniederländischer Meister des späten 15. Jahrhunderts
Darbringung im Tempel
Öl auf Holz. 33,5 x 19,5 cm.
Diese feine kleine Tafel illustriert die biblische Darstellung der sogenannten Darbringung im Tempel. Die Szene aus dem Evangelium des Heiligen Lukas enthält theologisch zwei ineinander verwobenen Riten des christlich-jüdischen Glaubens, die Beschneidung Christi und gleichzeitig die Reinigung Mariens.
Im Vordergrund sind die Protagonisten zu erkennen, Maria und Christus, und rechts daneben der Priester Simeon mit bischöflicher Pluviale und Mitra. Auf der linken Seite ist der Heilige Joseph zu identifizieren. Hinter ihm stehen eine weibliche Gestalt mit zeitgenössischer burgundischer Haube und ein Mann mit Turban-artiger Kopfbedeckung. Im Hintergrund sind an der Kirchenwand Fragmente eines Polyptychons angebracht: ein Bild von Moses mit den Gesetzestafeln, der als Sinnbild für den Alten Bund zu verstehen ist. Ihm wird typologisch Christus als Begründer des Neuen Bundes zugeordnet. In mariologischer Ausdeutung verweist die Moses-Darstellung auf das jüdische Gesetz der mütterlichen Reinigung, dem sich Maria unterworfen hat.
Der Maler platziert die biblische Szene in das Seitenschiff einer gotischen Kirche und fasst die Darstellung in eine gemalte architektonische Goldrahmung ein. Anhand dieses gemalten Rahmens wurde die Verbindung unseres Gemäldes mit drei weiteren Tafeln erkannt, die Max Friedländer 1931 publiziert hat (op. cit.). Diese drei Bilder zeigen weitere Szenen aus dem Leben Mariens: Die “Verkündigung” (heute Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam), die “Geburt Christi” und “Christus erscheint seiner Mutter” - die beiden letzteren befinden sich heute in nicht bekannten Privatsammlungen. Als viertes konnte schließlich das hier vorliegende Bild hinzugefügt und als Bestandteil eines mehrteiligen Marienaltars identifiziert werden.
Friedländer schrieb die Bilder dem jungen Jan Provost zu. Auch Grete Ring schloss sich dieser Zuschreibung an (op. cit.). Zur Zeit von Friedländers erster Publikation befand sich die “Verkündigung” noch in einer Berliner Privatsammlung. Nachdem sie vom Rotterdamer Museum erworben wurde, ist die Zuschreibung an Provost überprüft und verworfen worden. Heute wird das Werk einem namentlich nicht bekannten südniederländischen Meister des späten 15. Jahrhunderts zugeordnet, der dementsprechend auch der Maler der vorliegenden Tafel ist.
Provenienz
Henry Wagner. – Auktion Christie’s, London, 16.1.1925, Lot 59 (als Schule von Gerard David). – Sir Thomas Barlow. – Auktion Sotheby’s, London, 20.7.1955, Lot 57. – H. J. Hellema, Laren.
Literaturhinweise
Max J. Friedländer: Die Altniederländische Malerei, Bd. IX, Berlin 1931, S. 145, Nr. 127 (nur die anderen drei Tafeln). – Max J. Friedländer: Early Netherlandish Painting. Bd. IXb, Leiden 1972, S. 111, Nr. 127, Abb. Tafel 149. – Grete Ring: Additions to the Work of Jan Provost and Quentin Massys, in: The Burlington Magazine 79, 1941, S. 156-160. – Monika Brieskorn, in: Ekkehard Mai (Hg.): Das Kabinett des Sammlers, Köln 1993, S. 63-5, Nr. 25, mit Abb. (als Jan Provoost). – Ron Spronk, in: Friso Lammertse (Hg.): Van Eyck to Bruegel 1400 to 1550. Dutch and Flemish Painting in the Collection of the Museum Boymans-van Beuningen, Rotterdam 1994, S. 217-219, unter Nr. 45, S. 218, Abb. b.
Ausstellung
Manchester, Whitworth Art Gallery, Juni 1947, Nr. 3. – Flemish Art 1300-1700, London, Royal Academy, 5.12.1952-6.3.1953, Nr. 49 (zusammen mit der "Verkündigung", als Jan Provost). – Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen, 1955, Nr. 76. – Laren, Singer Museum, Juli 1961, Nr. 104. – Kassel, Staatliche Museen, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv.-Nr. 1101 (Leihgabe).