Sebastiaan Vrancx
Die Speisung der Hungrigen
Öl auf Holz, auf Holz aufgezogen (parkettiert). 64,5 x 48,5 cm.
Das vorliegende Gemälde illustriert mit der „Speisung der Hungrigen“ das erste der sieben christlichen Werke der Barmherzigkeit. Sechs dieser Werke beruhen auf einem im Matthäusevangelium überlieferten Jesuswort (Mt 25,34-46), während das siebte eine Ergänzung aus dem apokryphen Buch Tobit darstellt (Tob. 1,17). Bühnenartig sind im Vordergrund unserer Holztafel mehrere Bettler wiedergegeben, links beginnend mit einem zerlumpten Jungen zwischen den hohen Postamenten zweier Säulen. Daneben führt eine junge Frau ihren blinden Vater und schließlich erhalten eine Mutter und ihre Kinder von einem reich gekleideten Paar vor dem Eingang eines prächtigen Palasts Brote überreicht.
Eingefügt ist diese Darstellung in eine prachtvolle, makellose Renaissancearchitektur, die in scharfem Kontrast zu den ärmlichen Figuren des Vordergrunds steht. Zwischen der in starker perspektivischer Verkürzung dargestellten Palastfassade am rechten Bildrand und den von einem klassischen Gebälk zusammengefassten Säulen auf der linken Seite geht der Blick zunächst auf eine weiträumige Platzanlage. Dort springt vor allem ein dreigeschossiger Palast mit offenen Arkadengängen im Erdgeschoss ins Auge. Leicht versetzt zur Mittelachse wird der Blick auf der rechten Seite weiter in den Hintergrund gezogen und trifft schließlich auf die Fassade einer Kuppelkirche und einen Glockenturm als „point de vue“.
Unsere Tafel gehört zu einem Zyklus von Einzeldarstellungen aller Werke der Barmherzigkeit, die Vrancx und seine Werkstatt mehrfach ausgeführt haben dürften und stets mit einem klassischen Architekturhintergrund verbunden waren. Weitere, gleich große Tafeln befinden sich u.a. im Museum in Springfield, Massachusetts, und in der Stichting Nederlands Kunstbezit. Ein 1608 datiertes Gemälde von Vrancx in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover zeigt hingegen alle sieben Werke der Barmherzigkeit auf einer Tafel.
Sebastiaan Vrancx war in seiner Geburtsstadt Antwerpen Schüler von Adam van Noordt, bei dem auch Rubens und Jacob Jordaens in die Lehre gingen. Nach einem Rom-Aufenthalt von 1596 bis 1600/01 ließ sich Vrancx wieder in Antwerpen nieder, wo er in die Lukasgilde aufgenommen und 1612 zu deren Dekan gewählt wurde. Darüber hinaus bekleidete er zahlreiche weitere Ämter in Schützengilden, Rhetorikgesellschaften etc., die ihn zu einer wichtigen Figur im künstlerischen und sozialen Umfeld Antwerpens machten.
Als einer der ersten Künstler spezialisierte sich Vrancx auf die Wiedergabe von Überfällen, Schlachten und Reitergefechten, als deren Wegbereiter in der Malerei der südlichen Niederlanden er gilt. Darüber hinaus schuf er Ansichten von Gartenfesten und galanten Gesellschaften sowie reine Landschaftsgemälde. Zugleich war der äußerst vielseitige Künstler als Figurenmaler geschätzt und fügte u.a. in Werke von Jan Brueghel d. Ä. und Joos de Momper Staffagefiguren ein. Karel van Mander rühmte den damals erst 31-jährigen Vrancx in seinem 1604 erschienenen „Het schilder-boeck“ insbesondere für seine Darstellung von Landschaften, Pferden und Figuren („eer aerdigh in Landtschap, Peerdekens, en beeldekens“).
Zertifikat
Der Auktionskatalog von Sotheby-Maak van Way, Amsterdam 1977, erwähnt die Kopie eines Gutachtens von Dr. Eduard Plietzsch von 1947 sowie ein Gutachten von Dr. Walther Bernt von 1963.
Provenienz
Galerie Julius Böhler, München. – Sammlung Dr. Lutz, Berlin. – Dr. Hans Wetzlar, Amsterdam. – Auktion seines Nachlasses, Sotheby-Mak van Waay, Amsterdam, 9.6.1977, Lot 69. – Dort erworben.
Literaturhinweise
Friedrich Winkler: Der unbekannte Sebastian Vrancx, in: Pantheon 22, 1964, S. 322- 334, Abb. S. 322. – Suyin Scheid, in: Ekkehard Mai (Hg.): Das Kabinett des Sammlers, Köln 1993, S. 264 -266, Nr. 104, mit Abb.
Ausstellung
Keuze uit de verzameling Dr. H. A. Wetzlar, Laren, Singer Museum, 14.12.1968-2.1.1969, Nr. 32 (Abb. Kat. Tafel 7).