Oskar Schlemmer - Bauplastik R - image-1

Lot 19 Dα

Oskar Schlemmer - Bauplastik R

Auktion 1177 - Übersicht Köln
17.06.2021, 18:00 - Moderne/Zeitgenössische Kunst - Evening Sale
Schätzpreis: 150.000 € - 200.000 €
Ergebnis: 250.000 € (inkl. Aufgeld)

Oskar Schlemmer

Bauplastik R
1919

Bronzeplastik Höhe 98,8 cm Seitlich rechts unten bezeichnet und datiert "PROBEGUSS BRONZE 1964 UNVERKÄUFLICH FÜR JULIAN HILDEBRANDT". Posthumer Guss 1964; Unikat in diesem Material, neben der Auflage von 10 Aluminiumgüssen. Gießerei H. Noack, Berlin. - Mit schöner goldbrauner Patina.

In der bedeutenden „Bauplastik R“ visualisiert sich in nuce Oskar Schlemmers künstlerisches Gesamtwerk. Hier ist schon seine Auffassung von gegenstandsgebundener Abstraktion formuliert.
Im Entstehungsjahr unseres Reliefs, 1919, konstituiert sich in Weimar das Staatliche Bauhaus aus der von Henry van de Velde gegründeten Kunstgewerbeschule. Neuer und moderner soll die Hochschule sein. Aus der Idee der Gestaltung jeden Lebensbereichs im Sinne des Gesamtkunstwerks entwickelt sich der Grundsatz, dass nun die Form der Funktion folgen und damit über die im 19. Jahrhundert entwickelte Schönheitsidee hinausgehen soll. Der neuen Devise „Form follows function“ wird der Mensch in seinen Maßen und Bedürfnissen zugrunde gelegt.
1920 wird Oskar Schlemmer von Walter Gropius an das Bauhaus berufen und leitet die Klasse der Wandgestaltung - ein Aufgabenbereich, der in direktem Zusammenhang mit unserem Relief zu sehen ist. Denn formal ist die Wand als architektonisches Bauteil per se werkimmanent für die skulpturale Gattung Relief. Die Vermessung des menschlichen Körpers stellt Oskar Schlemmers ureigenstes Thema dar, in seiner Wandgestaltung, in seiner Plastik und Malerei sowie in seinem Bühnenwerk.
„Er abstrahiert aus der menschlichen Gestalt die Idee ihrer Linie, das Gesetz ihrer Proportion und ihres Flächeninhalts“, beschreibt der Direktor der Dresdener Städtischen Kunstsammlungen, Paul Ferdinand Schmidt, in dem ersten umfassenden Artikel über Oskar Schlemmer im Jahrbuch der jungen Kunst bereits 1921. (zit. nach Karoline Hille. Fläche-Raum-Unendlichkeit, in: Ausst. Kat. Oskar Schlemmer. Wand-Bild-Bild-Wand, Städt. Kunsthalle Mannheim 1988, S. 19).
Die nach Hans Hildebrandt folgende Bearbeiterin des Werks Oskar Schlemmers, Karin v. Maur, beschreibt die „Bauplastik R“ eingehend:
Die "Reihe der Reliefs von 1919 [gipfelt] in der 'Bauplastik R', mit der Schlemmer nicht nur die Polychromie, sondern weitgehend auch die Flächengebundenheit verläßt. Auf der Vertikalachse eines schmalen Hochrechtecks erhebt sich eine nach rechts gewendete Jünglingsfigur, deren schlanke Umrisse auf elementare geometrische Grundformen reduziert sind. Aus ihren Proportionen ergibt sich ein tektonisches System aus kubischen Rechteckfeldern, gegeneinander versetzt zu beiden Seiten der teilenden und verbindenden Längsachse. Durch den rhythmischen Wechsel von konkaven und konvexen Partien wird die Fläche auf mehreren Ebenen in die Tiefe gestuft und überhöht. Auf diese Weise entsteht ein ebenso klares wie differenziertes Gefüge aus rechteckigen Hohlräumen, eingeschnittenen Konturen, scharfkantigen Graten und runden Wölbungen. Statt der Farben übernimmt hier das Licht die Funktion der aktivierenden Akzentsetzung: je nach Beleuchtung werden markante und wechselnde Kontraste von belichteten und verschatteten Partien erzeugt, die als dynamisches Element an der raumplastischen Gestaltung mitwirken.
Das profilierte Gliederungssystem, das die Gestalt durchdringt und ihre gesetzmäßige Proportionierung sichtbar werden läßt, wirkt in allen Teilen so konsequent, daß Figur und Konstruktion zu einer harmonischen Ganzheit zusammenwachsen." (Karin v. Maur 1972, op. cit., S. 27).

Noch differenzierter als in der Version in Aluminium erscheint das Spiel von Licht und Schatten, von Flächen und Linien, von Konkaven und Konvexen, in dem hier vorliegenden Bronzeguss, der in dieser Materialausführung einmalig und somit als Unikat zu begreifen ist.

Werkverzeichnis

v. Maur P 10a (Aluminium)

Zertifikat

Mit einer Bestätigung von Tut Schlemmer, Stuttgart, vom 10. März 1979

Provenienz

Nachlass des Künstlers; Geschenk Tut Schlemmers an den Vorbesitzer, Familie Hans Hildebrandt; Privatsammlung

Literaturhinweise

Karin v. Maur, Oskar Schlemmer, Das plastische Werk, Stuttgart 1972, S. 27, mit ganzseitiger Farbtafel S. 25 (Aluminium); Wulf Herzogenrath, Oskar Schlemmer. Die Wandgestaltung der neuen Architektur, München 1973, Verz. 14.4, mit Abb. 227 (Aluminium); Hans M. Wingler, Kleine Bauhaus-Fibel, Berlin 1974; S. 18, mit Abb. S. 20 (Aluminium)

Ausstellung

U.a. Bern 1959 (Kunsthalle Bern), Oskar Schlemmer, Kat. Nr. 157 (Aluminium); Hannover 1960/1961 u.a. Wanderausstellung (Kestner-Gesellschaft), Oskar Schlemmer, Kat. Nr. 158 (Aluminium); Rom 1962 (Galleria Nazionale d'Arte Moderna), Oskar Schlemmer, Kat. Nr. 44 (Aluminium); London 1962 (Marlborough Fine Art), Painters of the Bauhaus, Kat. Nr. 188 (Aluminium); Berlin 1963 (Akademie der Künste), Oskar Schlemmer, Kat. Nr. 254 (Aluminium); Stuttgart 1968 (Württembergischer Kunstverein), 50 Jahre Bauhaus, S. 298, Kat. Nr. 265 mit Abb.; London 1968/1971 u.a. Wanderausstellung, 50 Jahre Bauhaus, S. 297, Kat. Nr. 217 (Aluminium); Berlin 1977 (Neue Nationalgalerie/Akademie der Künste/Große Orangerie), Tendenzen der Zwanziger Jahre, Kat. Nr. 1/243, mit Abb. 112