Marlene Dumas - The Window - image-1
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Lot 46 D

Marlene Dumas - The Window

Auktion 1177 - Übersicht Köln
17.06.2021, 18:00 - Moderne/Zeitgenössische Kunst - Evening Sale
Schätzpreis: 400.000 € - 500.000 €

Marlene Dumas

The Window
1992

Öl auf Leinwand. 60 x 50 cm. Rückseitig auf dem Keilrahmen signiert, datiert und betitelt 'M Dumas.The window. 1992'.

„The Window“ ist ein intimes Bild, sowohl in Bezug auf seine Abmessungen als auch seinen Darstellungsgehalt. Eine Gestalt - vielleicht eine Frau, vielleicht ein kleines Mädchen - füllt den Bildraum in der Höhe aus. Sie wird als reine Rückenfigur wiedergegeben, wendet sich also vollständig vom Betrachter ab, und ist statisch in eine nahezu symmetrische Bildsituation eingespannt. Die Arme zu beiden Seiten gleichermaßen abgewinkelt, die Füße auswärts gedreht, steht sie fest verankert vor dem dunklen Quadrat, das sich als das titelgebende Fenster erkennen lässt. Dichtes, über die Schultern herabfallendes Haar und ein knöchellanges Hemd verhüllen Kopf und Körper - mit Ausnahme der Arme - zur Gänze. Die herabfließenden Stoffbahnen des Gewandes finden ihre Entsprechung in den vertikalen transparenten Pinselbahnen, mit denen die Künstlerin den Umraum andeutet. Das auffallendste, da farblich hervorstechende, Detail sind die roten Schuhe mit großen Pompons, die erst durch die ungewöhnliche Fußstellung voll sichtbar werden. Sie tragen eine tiefe symbolische Aussagekraft in sich, hier spielen vielfältige Bedeutungsebenen wie Macht, Blut und Opfertod, Gewalt und Leidenschaft hinein. Das gleiche Rot findet sich, erst bei Betrachtung aus der Nähe erkennbar, in den dunklen Partien des Fensters und des davorstehenden Konsoltisches, auch Spuren von blauer Farbe treten dort in Erscheinung.
Für Marlene Dumas ist es ein ungewöhnliches und außerordentlich interessantes Bild, denn es stellt die gängigen Darstellungsgewohnheiten der Künstlerin auf den Kopf. In Dumas' Oeuvre ist das Porträt allgegenwärtig. Ihre meist weiblichen Dargestellten sind als bildfüllende Porträtköpfe sowie als Halb- oder Ganzfiguren präsent. Ist der Körper mit abgebildet, so ist er meist unbekleidet. Der unmittelbare Blick auf den - im wortwörtlichen oder im übertragenen Sinne - nackten, ungeschützten Menschen steht normalerweise im Fokus ihrer Arbeit. Doch die Protagonistin von „The Window“ entzieht sich diesem Blick und jeglicher Freilegung. Gänzlich bekleidet, verborgen und abgewandt, ist sie geschützt in sich selbst zurückgezogen - ein seltener darstellerischer Aspekt im Oeuvre der Künstlerin.
Marlene Dumas arbeitet bekanntlich nicht nach lebenden Modellen oder erdenkt ihre Sujets frei, sondern verwendet fotografische Vorlagen unterschiedlichster Printmedien, auch Abbildungen von historischen Gemälden oder ihre eigenen, privaten Fotos. Sie isoliert somit ihre Motive aus deren vormaligem Kontext und überlässt sie frei von vorgegebenen Referenzen dem Blick und den Assoziationen des Betrachters. Grundsätzlich und ganz bewusst hält Dumas die Aussage ihrer Werke in der Schwebe, der Betrachter bekommt von ihr keine Handreichung für deren Deutung. Vielmehr lässt die Künstlerin die individuelle Biografie des Betrachters zu einem Teil ihres Kunstwerkes werden. Auf der Grundlage der persönlichen Lebensumstände und Charaktereigenschaften der Betrachter erfahren ihre Werke konträre Ausdeutungen. Empfindet eine Person angesichts eines ihrer Bilder etwa Furcht oder Einsamkeit, ruft dasselbe Werk bei einem anderen Betrachter vielleicht eine Erinnerung an ein Kindheitserlebnis hervor, das mit einem individuellen Gefühl von Geborgenheit verknüpft ist. „The Window“ hält, still und geheimnisvoll, alle Möglichkeiten für die Interpretationen des Betrachters bereit.

Provenienz

Galerie Isabella Kacprzak, Köln (mit rückseitigem Aufkleber); Privatsammlung, Luxemburg

Literaturhinweise

Dominic van den Boogerd u.a., Marlene Dumas, London 1999, S.143 mit Farbabb.

Ausstellung

Köln 1992 (Galerie Isabella Kacprzak), Marlene Dumas, Ask me no questions and I will tell you no lies