Ernst Barlach - Der Flötenbläser - image-1

Lot 161 Dα

Ernst Barlach - Der Flötenbläser

Auktion 1188 - Übersicht Köln
04.12.2021, 11:00 - Moderne und Zeitgenössische Kunst - Day Sale
Schätzpreis: 30.000 € - 40.000 €
Ergebnis: 31.250 € (inkl. Aufgeld)

Ernst Barlach

Der Flötenbläser
1936

Bronze Höhe 58,4 cm Rückseitig unten signiert 'E. Barlach' und mit dem Gießerstempel "H. NOACK BERLIN". Einer von 29 nicht nummerierten, seit 1939 entstandenen Güssen aus einer Gesamtauflage von 32 nicht nummerieren Exemplaren. - Mit dunkler, goldbrauner Patina.

In dieser Auktion sind fünf bedeutende Bronzeplastiken von Ernst Barlach aus der zweiten Hälfte seines künstlerischen Schaffenszeit versammelt. Sie verdeutlichen die überzeitliche Ausdruckskraft, die seinem beispiellosen Werk eigen ist.

Charakteristisch für das bildhauerische Oeuvre Barlachs ist die zentrale Bedeutung des Gewandes, er baut die Figur über die Gewandform auf. Sie bildet eine vereinheitlichende Hülle für den Körper und sorgt für eine Konzentration auf die Gestik und Haltung. Auch emotionale Bewegtheit kann dadurch veranschaulicht werden. Diese prägt in besonderem Maße die 1921 entstandene „Ruhe auf der Flucht I“. Das biblische Thema findet seine Umsetzung, indem Joseph ein weites Tuch schützend über die sitzende Maria mit dem Kind breitet. Das Tuch und das schwingende Gewand Josephs umfangen die beiden in einer ausgreifenden Bewegung und verbildlichen die aufwühlende Situation der Vertreibung.
Anlässlich des 700jährigen Bestehens der Domgemeinde seiner Heimatstadt Güstrow gestaltete der Künstler ein Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Dabei griff er auf das Motiv einer schwebenden Figur zurück, welches er bereits früher in seinem Werk entwickelt hatte. Der kleine Vorentwurf für das „Güstrower Ehrenmal“ bereitete die endgültige Gestaltung des überlebensgroß und vollplastisch verwirklichten Ehrenmals für den Güstrower Dom vor, das Barlach selbst meist als „Engel“ bezeichnete: „Mein Bronzeengel hängt unter dem Domgewölbe und tut es so bewegungslos, als täte er's schon hundert Jahre“ (zit. nach: Elisabeth Laur, Ernst Barlach. Das plastische Werk, Güstrow 2006, S. 37). Der Güstrower Erstguss wurde 1937 entfernt und später eingeschmolzen, der Zweitguss befindet sich seit 1952 in der Kölner Antoniterkirche. Die Figur ist verknüpft mit vielfältigen Assoziationen zwischen Diesseits und Jenseits, Trauer und Hoffnung, Erdenschwere und Leichtigkeit.
Die „Christusmaske I“ gehört zu einer Folge von Kopfstudien Christi, sie entstand 1931 in Vorbereitung einer sitzenden Gewandfigur, dem „Lehrenden Christus“. Die expressiven, asketischen Gesichtszüge sind von einer inneren Versenkung, aber auch von Willensstärke geprägt.
„Der Empfindsame“ und „Der Flötenbläser“ gehören in die letzte Werkphase des 1938 verstorbenen Barlach, die überschattet war von den Repressalien der Nationalsozialisten. Die schmal aufragende, in sich geschlossene Plastik des „Empfindsamen“ zählt zu den Figuren, die der Künstler im Auftrag von Hermann F. Reemtsma für das „Fries der Lauschenden“ 1935 realisierte. Dieser neunteilige Figurenfries geht auf Entwürfe für ein Beethovendenkmal in Berlin aus dem Jahr 1926 zurück, das jedoch nicht umgesetzt wurde. Erst die Förderung durch Reemtsma ermöglichte Barlach die langersehnte plastische Ausführung dieser Gewandfiguren. Auch der Plastik des „Flötenbläsers“ liegt eine Zeichnung vom Anfang der 1920er Jahre zugrunde. Das Wiederaufgreifen dieses heiter-bukolischen Themas im Jahr 1936 kann als Gegenreaktion des Künstlers auf seine belastende Lebenssituation interpretiert werden, in der er sich seit 1933 befand. Die durch das um den Körper gezogene Gewand erreichte formale Vereinheitlichung der Figur, die den „Empfindsamen“ in besonderem Maße kennzeichnet, findet sich auch bei dem „Flötenbläser. Die schräg versetzten Füße und zusammenfallenden Knie lockern diese blockhafte Haltung jedoch auf und verleihen der Figur insgesamt eine lebendig-spielerische Komponente.

Werkverzeichnis

Laur 596; Schult I 469

Zertifikat

Mit einer Expertise von Hans Barlach, Ratzeburg, vom 23. August 1991 (in Kopie), dort mit irrtümlichen Maßangaben.

Literaturhinweise

u.a. Ernst Barlach. Die Briefe II, 1925-1938, hrsg. v. Friedrich Droß, München 1969, Nr. 1327; Carl Dietrich Carls, Ernst Barlach. Das plastische, graphische und dichterische Werk, 5. Aufl., Flensburg/Hamburg 1950, S. 129; Ernst Barlach. Werke und Werkentwürfe aus fünf Jahrzehnten, bearb. v. Elmar Jansen, Bd. 3, Berlin 1981, Nr. 88; Skulpturen. Bestandskatalog Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg, hg. v. Christoph Brockhaus u. Gottlieb Leinz, Duisburg 1992, S. 170; Anita Beloubek-Hammer, Ernst Barlach. Plastische Meisterwerke, Leipzig 1996, S. 150f.; Volker Probst, Wolke Däubler über Güstrow, in: Ernst Barlach und die Elemente, Ausst. Kat. Ernst Barlach Stiftung, Güstrow 2000, S. 56; Elisabeth Laur, Der Bildhauer als Buchkünstler, in: Ernst Barlach. Kaviar statt Brot. Kurt Reutti, Sammler und Stifter, Ausst. Kat. Kunsthalle Bremen, Bremen 2001, S. 29

Ausstellung

u.a.: Rostock 1945 (Städtisches Museum), Ernst Barlach; Schwerin 1947 (Landesmuseum), Ernst Barlach, Kat. Nr. 83; Stockholm 1949 (Riksförbundet för bildande konst), Käthe Kollwitz och Ernst Barlach, Kat. Nr. 76 ("Flöjtblasare") mit Abb. Tafel 8; Berlin 1951/52 (Deutsche Akademie der Künste), Ernst Barlach, Kat. Nr. 75 mit Abb. S. 161; Antwerpen 1957 (Middelheimpark), 4. Biennale voor Beeldhouwkunst, Kat. Nr. 7 mit Abb. Tafel 1; Bremen 1959 (Kunsthalle), Ernst Barlach, Kat. Nr. 503; Hamburg 2003 (Ernst Barlach Gesellschaft, Hauptkirche St. Katharinen Hamburg), Ernst Barlach. Mystiker der Moderne, S. 209