Wilhelm Lehmbruck
Mädchen mit aufgestütztem Bein
1910
Bronze. Höhe 64 cm. Rückseitig und links unten signiert 'W LEHMBRUCK PARIS'. Posthumer Guss.
In den Jahren nach dem Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf von 1901 bis 1906 suchte Wilhelm Lehmbruck nach neuen und zeitgemäßen Ausdrucksmöglichkeiten für seine Plastiken. Die entscheidenden Anregungen fand er bei Hans von Marées und Adolf von Hildebrand, aber vor allem bei den französischen oder belgischen Bildhauern Constantin Meunier, Auguste Rodin und Georges Minne. Ab 1906 weilte Lehmbruck daher regelmäßig in Paris, wo er seit 1910 dauerhaft lebte und arbeitete. In der französischen Metropole nahm er persönlichen Kontakt mit Rodin auf, lernte Aristide Maillol kennen und leitete mit der „Großen Stehenden“ 1910/11 seinen endgültigen strengen Stil ein.
An der Schwelle zu Lehmbrucks überlängten und in sich gekehrten Plastiken ist das „Mädchen mit aufgestütztem Bein“ entstanden. Auch diese Bronze gibt eine stehende weibliche Figur wieder, doch anders als die folgenden Arbeiten nimmt die Frau eine komplizierte, in sich gedrehte Haltung ein. Während das aufgestellte Bein nach links gewendet ist, dreht sich der Oberkörper nach rechts und der Kopf wiederum in die Gegenrichtung. Mit dieser instabilen Haltung erinnert sie an eine 'Figura serpentinata', an die gedrehten Figuren der italienischen Hoch- und Spätrenaissance. Noch deutlicher ausgeprägt ist aber der Bezug zum französischen Bildhauer Jean-Baptiste Carpeaux, der für seine bewegten Skulpturen an der Pariser Oper berühmt wurde. Alle diese Einflüsse aufnehmend, schuf Lehmbruck einen seiner seltenen, sinnlich-verspielten Akte, dessen in sich gekehrter Blick schon auf die späteren Arbeiten - wie die der „Großen Sinnenden“ (1913) - vorausweist. Mit einer Herkunft aus der renommierten Kölner Sammlung Haubrich hat die Plastik eine ausgezeichnete Provenienz.
Werkverzeichnis
Schubert 54 B.b.3.
Provenienz
Sammlung Josef Haubrich, Köln (1925 erworben), seitdem Familienbesitz Argentinien; Math. Lempertz'sche Kunstversteigerung, Köln, Auktion 626, Kunst des XX. Jahrhunderts, 28. November 1987, Lot 557; Privatsammlung Rheinland/Bayern
Literaturhinweise
Wilhelm Lehmbruck, Ausst. Kat. Gerhard Marcks-Stiftung Bremen, Bremen 2000, Kat. Nr. 6; Katharina Lepper, Mädchen mit aufgestütztem Bein, in: Wilhelm Lehmbruck 1881-1919. Das plastische und malerische Werk. Gedichte und Gedanken, Ausst. Kat. Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg, Köln 2005, S. 122f.