Aeneas-Meister (aktiv um 1530 - 40)
Die Pest auf Pergamos
Farbiges Maleremail und Vergoldung auf dreieckig geschnittener Kupfertafel. Rückseitig weiße Inventarnummer X17336 und Klebeetikett mit derselben Nummer in Tinte. Restaurierte Chips am unteren Rand und in der linken unteren Ecke, eine winkelförmige Retusche über dem Torbogen links. H 19,4, B 19,7 cm.
Limoges, 1530er Jahre.
Der Künstler, der als Aeneas-Meister bezeichnet wird, ist bis heute nicht namentlich bekannt. Man weiß nur, dass er in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts tätig war. Er wird über die Objektgruppe identifiziert, die sein Hauptwerk darstellt - eine Serie von bisher 82 bekannten Tafeln mit Szenen aus Vergils Aeneis, die Sophie Baratte zusammentrug und 2001 veröffentlichte. Die hier vorliegende Tafel kann als das 83. Werk diesem Ensemble zugerechnet werden.
Die Vorlagen des Aeneas-Meisters sind bekannt: Es handelt sich um Holzschnitte von Hans Grüninger oder Jean Gruninger (1455 - 1532), einem schwäbischen Verleger, der in Strasbourg ansässig wurde und zu dessen 1502 erschienener Aenaeis, "Publij Virgilij Maronis Opera", Sebastian Brant die Einleitung schrieb.
Die Geschichte, aus der hier eine Szene abgebildet ist, steht im Buch III von Vergils Epos (Vers 90 ff.). Aeneas erzählt Dido, wie er das Orakel befragt, wo er sich niederlassen und eine neue Stadt für die überlebenden Trojaner bauen soll. Er interpretiert die Botschaft des Orakels falsch und kommt zu dem Schluss, dass er nach Kreta segeln muss. In Pergamos auf Kreta angekommen, schlägt das Schicksal zu: "da plötzlich kommt durch verdorbene Luft, gleich kläglich für Saaten und Bäume, Mark und Glieder verzehrend, mit tödlichen Seuchen ein Pestjahr. Wer aus dem Leben nicht schied, dem geliebten, der schleppte den Körper siechend dahin." (Vers 135 f.) Während die Pest in Pergamos wütet, wie auf der vorliegenden Tafel zu sehen ist, der sowohl Menschen als auch Tiere zum Opfer fallen, hat Aeneas einen prophetischen Traum, in dem ihm von den Penaten gesagt wird, er solle sich in Italien niederlassen. Die Trojaner geben daraufhin Pergamos auf.
Die vorliegende Tafel wurde wahrscheinlich von einem Quadrat auf die heutige dreieckige Form zugeschnitten, genauso wie das publizierte zweite dreieckige Exemplar in der Sammlung des Museums Angewandte Kunst Frankfurt. Der Holzschnitt von Grüninger zeigt, was fehlt: Im vollständig abgebildeten Gebäude links ist der von den Penaten umgebene schlafende Aeneas zu sehen, weiter mittig hinten erstreckt sich die Stadtkulisse, rechts ragen hinter den vor Anker liegenden Schiffen einzelne Felsen aus dem Meer; außerdem befinden sich am oberen Rand und über den Figuren in Aeneas' Schlafzimmer Schriftbanderolen. Die ursprüngliche Höhe der Tafel wird vermutlich ca. 23 cm betragen haben.
Diese beiden dreieckigen Stücke bildeten den Giebel einer Schatulle, in die weitere 14 quadratische Tafeln des Aenaeas-Meisters eingearbeitet waren. Die Schatulle ist im Versteigerungskatalog der Sammlung Hollingworth Magniac von 1892 abgebildet. Julius und Selig Goldschmidt erwarben das Objekt, demontierten und verkauften die Tafeln einzeln. Die beiden dreieckigen Tafeln gingen an das Frankfurter Historische Museum - nach Angaben der Deutschen Fotothek bereits 1896, obwohl Baratte sie 1912 bei Justus Porgès verzeichnet. Die fortlaufenden Inventarnummern auf den Rückseiten der Tafeln belegen, dass beide Dreiecke gleichzeitig inventarisiert wurden; aber die hier vorliegende Tafel kam wieder aus der Museumssammlung heraus und befand sich bis vor einigen Jahren in Familienbesitz.
Provenienz
Sammlung Hollingworth Magniac (1786 - 1867), Colworth, Bedford.
Versteigerung seines Nachlasses bei Christie, Manson & Woods im Juli 1892, Los 528.
Dort erworben von der Firma J & S Goldschmidt, Frankfurt, die es zerlegte und die Teile einzeln weiterverkaufte.
Frankfurter Historisches Museum, 1896 oder 1912 - 1934.
Vom jetzigen Besitzer vor 15 Jahren erworben bei Dr. Harald Reitmeier.
Literaturhinweise
Vgl. Netzer, Maleremails aus Limoges. Der Bestand des Berliner Kunstgewerbemuseums, Berlin 1999, Kat. Nr. 4.
Vgl. Baratte, Les émaux peints de Limoges. Musée du Louvre - Département des objets d'art, Paris 2000, S. 56 ff.
Vgl. Baratte, La série de plaques du Maître de L’Enéide, in: Etudes d'histoire de l'art offertes à Jacques Thirion. Des premiers temps chrétiens au XXe siècle, Paris 2001, S. 133 ff.
S.a. Müsch, Maleremails des 16. und 17. Jahrhunderts aus Limoges, Braunschweig 2002, S. 44, ein Kommentar zum Aeneas-Maister, der, zusammen mit Jean Pénicaud, um 1530 die frühesten arsen- und bismutreichen blauen Flüsse verwendete.
Zum Motiv s. Dupeux/Lévy/Wirth (Hg), La Gravure d'Illustration en Alsace au XVIe Siècle, tome I. Jean Gruninger 1501-1506, Strasbourg 1992, S. 22 ff., Abb. 419 und 421.