Schatulle von Abraham Roentgen
Mahagoni auf Mahagoni und Eiche, vergoldete Bronze, Messing, Eisenschloss. Oblonge Kastenform mit getrepptem Klappdeckel und oben befestigtem Bügelgriff. Vorstehende Basis auf vier geschweiften Zargenfüßen. Mittels einer Druckfeder zu öffnender, kartuschenförmiger, fein gravierter Schlossbeschlag, dahinter die Schlüsselführung. Innen Fächeraufteilung mit herausnehmbarem Deckel. Mit einem Druckknopf in der rechten Wandung zu öffnender Geheimschub in der rechten Basis. Feine Messingbänder um Seiten und Deckel. Der Deckel von innen mit marmoriertem Papier ausgekleidet. Mit umgelegten Bügelgriff H 19, B 26, T 16,5 cm.
Neuwied, um 1750-1760.
Die Produktion von Schatullen gehörte vermutlich schon seit der Gründung der Herrnhaager Werkstatt 1742 zu Abraham Roentgens täglicher Arbeit. Den Typus des elegant mit Edelhölzern furnierten Kästchens hatte er auf seinen Reisen in die Niederlande und nach London kennengelernt. Die Engländer pflegten den teuren, aus Indien und China importierten Tee in ähnlichen, innen verzinkten und abschließbaren Behältern aufzubewahren. Sie wurden caddy set genannt, ein Wort, das sich auf die chinesische Maßeinheit „kati“ bezog. Abraham Roentgen modifizierte Aussehen und Funktion des kolonialen Kästchens und erarbeitete sich damit gewissermaßen in seinem kleinsten Produkt schon ein sehr eigenes und auffälliges Profil.
Millimetergroße, exakt aufeinander abgestimmte Furnierstückchen wurden auf einen Kirschholz- oder Eichenkorpus furniert. Messingbänder betonen die Umrisse, vergoldete Bronzefüße und raffinierte Einlagen steigern den Eindruck des Meisterwerks in Miniaturformat. Quasi zum Markenzeichen wurden die über einen inneren Knopfdruck herausspringenden flachen Seitenschübe in der Basis ebenso wie die kleinen quadratischen Türchen im Schlossbeschlag, die mittels eines Druckknopfs im Boden aufspringen und das Schloss freigeben, um den Schlüssel einzustecken. In Serien hergestellt, besaß jedes einzelne eine individuelle Ausstattung, eine Besonderheit, wie z.B. die kleine, fein gravierte Messingkartusche auf dem Deckel. Die Schatullen wurden in mehreren Größen angeboten und waren nicht ausschließlich für Tee gedacht, sondern für einen beliebigen wertvollen Inhalt.
Heute sind noch ungefähr 100 dieser preziösen Schatullen erhalten, die meisten allerdings im Format kleiner Teekästchen. Bis zur Hamburger Lotterie 1769 war ihr Erwerb ausschließlich der hochadligen Clientèle Abraham Roentgens vorbehalten. Erst die ab Ende der 1760er Jahre erhobene Teesteuer und auch der Geschmackswandel zum Klassizismus ließen die Nachfrage nach den aufwändigen Schatullen sinken.
Literaturhinweise
Vgl. Fabian, Abraham und David Roentgen. Das noch aufgefundene Gesamtwerk ihrer Möbel- und Uhrenkunst in Verbindung mit der Uhrmacherfamilie Kinzing in Neuwied. Leben und Werk, Verzeichnis der Werke, Quellen, Bad Neustadt 1996, S. 245 ff.