Claude Monet
Mer agitée à Pourville
1882
Öl auf Leinwand. 59,5 x 73,5 cm. Gerahmt. Unten rechts schwarz signiert und datiert 'Claude Monet 82'.
Herausragendes, sehr atmosphärisches Werk aus der Hochzeit von Claude Monets Küstenbildern
Zu Beginn der 1880er Jahre wird die Küste der Normandie zu der bevorzugten Wirkungsstätte Claude Monets. Der Künstler, der in Le Havre aufgewachsen ist, kehrt damit zu seinen Wurzeln zurück. Er erweist sich als begnadeter Maler von Meereslandschaften. Die klassische Gattung des Seestücks, die er bereits als Jugendlicher in Le Havre mit den Meeresbildern Eugène Boudins kennengelernt hatte, definiert Monet nun gänzlich neu. Die Lichtstimmungen und Farbnuancen von Himmel, Wasser und Felsen im steten Wechsel des Wetters und der Jahreszeiten setzt er in kraftvoller Unmittelbarkeit um.
„La nature ne s’arrête pas“ („Die Natur steht niemals still“) ist ein vielzitierter Ausspruch des Malers, der mit seiner plein air-Malerei im Freien direkt vor dem Motiv arbeitete und sich für die größtmögliche Wahrhaftigkeit seiner Schilderungen den Unbilden jedes Wetters aussetzt. Der Journalist François Thiébault-Sisson berichtet 1927 rückblickend von einem selbstlosen Einsatz Monets, als dieser versuchte, im Sturm an der Küste von Étretat zu malen: „Nachdem er sich genau erkundigt hatte, wie hoch die Wellen steigen konnten, hatte er seine Staffelei in erforderlicher Höhe in einer Felsspalte der Steilküste aufgestellt, um nicht von der Flut überschwemmt zu werden. Als weitere Vorsichtsmaßnahme hatte er seine Staffelei mit festen Stricken vertäut und seine Leinwand gut auf der Staffelei befestigt. Anschließend hatte er begonnen zu malen. Der Entwurf entwickelte sich ganz prächtig, als sich vom Himmel Wassertropfen darauf ergossen. Gleichzeitig wurde der Sturm stärker. […] Monet arbeitete wie rasend weiter, ohne auf etwas zu achten. Plötzlich riss ihn eine gewaltige Woge von seinem Klappstuhl. Sie überspülte ihn, tauchte ihn völlig unter und drohte ihn mitzureißen, als er, einer spontanen Eingebung folgend, Palette und Pinsel fahren ließ und nach dem Seil griff, das seine Staffelei hielt.“ (zit. nach: Claude Monet, Ausst. Kat. Von der Heydt- Museum Wuppertal 2009, S. 21f.).
Im Sommer des Jahres 1880 entdeckt Monet erstmals das Sujet der normannischen Steilküste für sich, als er während eines Besuchs bei seinem Bruder Léon in den kleinen Badeort Petites-Dalles kommt und von den dortigen Klippen begeistert ist. Bereits im März 1881 kehrt Monet an die Küste zurück, ermutigt durch die positive Reaktion seines Förderers Paul Durand-Ruel auf seine Seestücke, diesmal in den Fischerort Fécamp. Seine Darstellungen der beeindruckenden weißen Steilküste, die senkrecht ins Meer abfällt, erlangen besondere Berühmtheit.
Im folgenden Jahr begibt sich der Maler erneut auf die Suche nach eindrucksvollen Küstenmotiven. Er bricht im Februar 1882 nach Dieppe auf in der Hoffnung auf eine gleichermaßen inspirierende Umgebung, wie er sie in Fécamp gefunden hatte. Doch ihm erscheint Dieppe zu städtisch und die Küste dort als nicht reizvoll genug. Das nahegelegene winzige Fischerdörfchen Pourville hingegen mit seiner spektakulären Steilküste fasziniert ihn sehr, er quartiert sich direkt am Strand in ein Hotel ein. Es entstehen hier ganz unmittelbar gesehene Ansichten, die die beeindruckende Naturkulisse der abrupt ins Meer abbrechenden Hügel östlich und westlich des Dorfes aus unterschiedlichen Perspektiven und bei variierenden Wetterbedingungen und Wasserständen wiedergeben (vgl. Wildenstein 709-721).
Bei diesem Aufenthalt zu noch winterlicher Zeit entsteht auch das hier angebotene „Mer agitée à Pourville“, das Gemälde zeigt als einziges dieser Werkreihe die See bei stürmischem Wetter. Der Betrachterstandpunkt befindet sich direkt am Wassersaum, inmitten der Elemente. Über das bewegte Meer geht der Blick weit nach Osten, wo der weitere Küstenverlauf schemenhaft sichtbar wird, darüber ballen sich am grau-violetten Himmel die Sturmwolken zusammen. Der Steinstrand im Vordergrund ist in dunkle Rotbraun- und Blautöne getaucht. Umso heller leuchten die Schaumkronen auf dem aufgewühlten Wasser, das in einer Vielzahl von Blau-, Türkis- und Grüntönen erfasst ist. Die Wellen brechen in hellgrünen Voluten und blendend weißem Schaum, langgezogene weiße Schaumzungen spülen auf den Strand. Im Hintergrund erhebt sich der markante, senkrecht aufragende Felsabbruch in warmen Erdtönen. Nur die winzigen Silhouetten von zwei Schiffen am Horizont deuten auf die Anwesenheit von Menschen hin, ansonsten ist die Szenerie ein reines, unverfälschtes Naturschauspiel.
Im Juni desselben Jahres wird Monet zusammen mit seiner Familie nach Pourville zurückkehren und Ansichten der nun sommerlichen Kulisse schaffen.
Neben seinem erfüllenden Aufenthalt in Pourville ist das Frühjahr 1882 auch insofern von besonderer Bedeutung für Monet, als er mit 35 Werken an der von Durand-Ruel organisierten „7ᵐᵉ exposition des artistes indépendants“ beteiligt ist – gemeinsam mit Gustave Caillebotte, Paul Gauguin, Armand Guillaumin, Berthe Morisot, Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir, Alfred Sisley und Victor Vignon. Die Ausstellung eröffnet am 1. März und ruft durchaus positive Resonanz bei Kritikern und Publikum hervor. Besonders gelobt werden die Küstenbilder Monets aus Fécamp. „Ich verweile vor diesen wundervollen Seestücken, auf denen ich zum ersten Mal mit einer solchen illusionistischen Kraft das Anschwellen und die langen Seufzer des Meeres verspüre, das Abfließen des Wassers beim Rückzug der Flut, die graugrüne Färbung des tiefen Wassers und die violette Färbung des flachen Wassers über seinem Sandbett“, schreibt der Kritiker Ernest Chesneau (zit. nach: Daniel Wildenstein, Monet oder der Triumph des Impressionismus, Köln 1996, S. 179).
„Mer agitée à Pourville“ wurde wohl von dem Galeristen Paul Durand-Ruel direkt beim Künstler erworben. Der bedeutendste Fürsprecher und Förderer der Impressionisten besaß durch die stetige finanzielle Unterstützung Monets das Vorkaufsrecht auf seine Werke. 1886 reiste der Händler mit über 300 impressionistischen Werken in die USA, wo sie auf eine begeisterte Resonanz trafen, 1887 eröffnete Durand-Ruel eine feste Dependance in der New Yorker Fifth Avenue. Von hier gelangte unser Gemälde wohl in den Besitz des Geschäftsmannes und Sammlers Catholina Lambert (1834-1923). Als junger Mann aus England nach Boston ausgewandert, stieg er in die Seidenproduktion ein und brachte es zu großem Vermögen. Seine über die Jahre entstandene umfangreiche Kunst- und Antiquitätensammlung präsentierte er in seinem prunkvollen Anwesen Bella Vista in Paterson/New Jersey. Der Niedergang der Seidenindustrie und ein Streik der Arbeiterschaft führte 1913 zur Insolvenz von Lamberts Unternehmen, infolgedessen war er gezwungen, seine Sammlung versteigern zu lassen. Bei der Auktion im New Yorker Plaza Hotel im Februar 1916 wurde dieses Gemälde als Lot 158 unter dem Titel „Marine“ verkauft.
Ein Meisterwerk des größten französischen Impressionisten
Werkverzeichnis
Wildenstein (1996) 718; Wildenstein (1979) 718
Provenienz
Im Dezember 1883 wohl vom Künstler direkt an Paul Durand-Ruel verkauft (rückseitig auf dem Keilrahmen mit dem Galerie-Etikett); Catholina Lambert, Paterson/New Jersey; Versteigerung Catholina Lambert, New York, Plaza Hotel, 21.-24. Februar 1916, Lot 158 (Durand-Ruel); Versteigerung Galerie Charpentier, Paris, 4. April 1957, Lot 60; Vente Francis Briest Scp, Paris, Art Moderne, 22. Juni 2001, Lot 39; Marble Arch Fine Arts, Inc., Los Angeles; Privatsammlung USA
Literaturhinweise
Lionello Venturi, Les archives de l'impressionnisme. Lettres de Renoir, Monet, Pissarro, Sisley et autres. Mémoires de Paul Durand-Ruel. Documents, Durand-Ruel éditeurs, Paris/New York 1939, Reprint New York 1968, Nr. 87, S. 269
Ausstellung
New York 1891 (Union League Club), Monet, wohl Kat. Nr. 61