Carl Spitzweg - Der Hagestolz - image-1

Lot 14 Dα

Carl Spitzweg - Der Hagestolz

Auktion 1262 - Übersicht Berlin
26.10.2024, 11:00 - Romantik und Realismus. Veduten, Landschaften und Genrebilder einer Privatsammlung
Schätzpreis: 50.000 € - 70.000 €
Gebot

Carl Spitzweg

Der Hagestolz
1847 1849

Öl auf Holz. 38 x 46 cm.
Bezeichnet verso in schwarzem Pinsel: In. 1311, darunter in roter Kreide: I N. 1311 / M.d.b.K, darunter in blauer Kreide (kaum lesbar): [...] 1311.

Die Liste der „Sonderlinge“ in Spitzwegs Oeuvre umfasst neben Bücherwürmern, Einsiedlern, Soldaten und Dichtern die Gestalt des Hagestolzes - den eingefleischten, etwas kauzigen Junggesellen. Der Ausdruck „hagestolz“, der heutzutage veraltet ist, hat seinen Ursprung im Mittelhochdeutschen und wird volksetymologisch vom älteren Begriff „hagestalt“ abgeleitet. Der Ausdruck bezieht sich auf den Eigentümer eines umzäunten Nebengutes, dessen geringe Größe einen Hausstand nicht zulässt.

Die Hagestolz-Werkgruppe bereitete Spitzweg durch zahlreiche Vorzeichnungen und Studien vor, die eine spezifische Komposition aufweisen: Als „Eine wichtige Horizontale“ bezeichnete Spitzweg die gerade Linie in der Ferne. Im Gegensatz dazu steht die Gestalt des Hagestolzes, der vertikal in den Raum hineinragt, sodass die Komposition von dieser horizontalen und vertikalen Linie bestimmt wird.

Unser Bild zeigt einen schlanken, hochgewachsenen Mann in Rückenansicht, der sich durch eine scharf konturierte, steife Körperhaltung und seine elegante Kleidung aus schwarzem Gehrock und Zylinder gleich mehrfach von den anderen Menschen abhebt. Von seinem Gesicht ist nur ein schwarzer Backenbart angedeutet. Die Rückenfigur hält ein dickes Manuskript oder ein Buch hinter dem Rücken und unter dem rechten Arm, als ob sich der Hagestolz sein Leben lang dem Studium der Bücher widmen würde. Diese äußere Erscheinung scheint eine konservative Haltung und Abschottung gegenüber dem Rest der Welt auszudrücken. Mag der isolierte Hagestolz sich selbst in seiner Ungebundenheit bestätigt fühlen oder mit Melancholie die Paare und Familie beobachten -darüber lässt sich nur spekulieren. Carl Spitzweg selbst hat nie geheiratet – hätte es vielleicht gerne getan.

Das Gemälde gehörte bis 1938 zur Sammlung des jüdischen Verlagsleiters Dr. Henri Hinrichsen (1868-1942), der sich durch soziales Engagement und Mäzenatentum neben seiner Arbeit als Musikverleger (Edition Peters) einen dauerhaften Ruf als Bürger der Stadt Leipzig erworben hatte. Den Rassenwahn der Nationalsozialisten konnte er nicht überstehen. Er wurde am 17.9.1942 in Auschwitz ermordet. Das Gemälde wurde bereits 1939 vom Museum der bildenden Künste in Leipzig übernommen, seit 1946 als Martha und Henri Hinrichsen-Stiftung, Chicago, geführt und 2003 von der Stadt Leipzig an die Erben Dr. Henri Hinrichsen restituiert.

Werkverzeichnis

Wichmann, 458.

Zertifikat

Lt. Werkverzeichnis existiert eine Echtheitsbestätigung des Neffen Spitzwegs, Major Karl Loreck, München, 15.7.1813

Provenienz

Sammlung Direktor Robert Zahn (1861-1914), Plauen. - Hugo Helbing, München, Auktion Sammlungen Direktor R. Zahn+, Plauen, 21.11.1917, Lot 20 (als "Der Gutsherr [Hagestolz]). - Dr. Binswanger (auf vorgenannter Auktion für 17.000 RM erworben). - Sammlung Dr. Henri Hinrichsen (1868-1942), Leipzig, 1935-1939. – Beschlagnahmung und Überführung des Kunstbesitzes Dr. Henri Hinrichsen an das Museum der bildenden Künste, Leipzig, 16.11.1939, und am 9.1.1940 inventarisiert (Inv.Nr. G 1311). – als Schenkung des Sohnes Walter Hinrichsen an das Museum der bildenden Künste, Leipzig, 31.5.1946. – seit 1946 als Henri und Martha Hinrichsen-Stiftung, Chicago, Museum der bildenden Künste, Leipzig. - Restituiert an die Erben von Dr. Henri Hinrichsen, 2002. - Sotheby´s, London, Auktion 15.06.2004, Lot 32. - Europäische Privatsammlung (im Nachverkauf erworben).

Literaturhinweise

A. Elsen: Carl Spitzweg, Wien 1948, Nr. 41 (1. Fassung, um 1868), S. 120 (erwähnt), Farbabb. - G. Roennefahrt: Carl Spitzweg. Beschreibendes Verzeichnis seiner Gemälde, Ölstudien und Aquarelle, Munich 1960, Nr. 913, Abb. S. 234 - H. Weiss: Carl Spitzweg, Wien/München 1972, Taf. 75 - D. Sander: Museum der bildenden Künste, Leipzig. Kat. der Gemälde, 1995, Nr. 1311, S. 185, Abb. 650, S. 395. - L. Schirmer: Carl Spitzweg, Augsburg 1996, Abb. 35. - E. Braun: Rückgabeverfahren des Museums der bildenden Künste Leipzig, Beiträge öffentlicher Einrichtungen der BRD zum Umgang mit Kulturgut aus ehem. jüdischem Besitz, hg. von U. Höder, Magdeburg 2001, Abb. S. 202, S. 211-218. - S. Wichmann: Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke. Gemälde und Aquarelle, Stuttgart 2002, Nr. 458, Abb. S. 251.

Ausstellung

Leipzig, Museum der bildenden Künste, Hundert Jahre deutsche Malerei, 5.1947.