Hans Hartung - T 1963 R 9 - image-1

Lot 172 Dα

Hans Hartung - T 1963 R 9

Auktion 830 - Übersicht Köln
02.12.2002, 00:00 - Zeitgenössische Kunst
Schätzpreis: 65.000 € - 80.000 €
Ergebnis: 70.800 € (inkl. Aufgeld)

Öl auf Leinwand 180 x 111 cm, gerahmt. Unten rechts in Schwarz signiert und datiert Hartung 63. - Rückseitig auf dem Keilrahmen in Schwarz betitelt T 1963 R 9 sowie mit Materialangaben und Richtungspfeil versehen. - Die Leinwand doubliert. ¶

Zu dem Arbeitsprozeß der frühen 1960er Jahre schreibt Elias Canetti:
"[Die] unbedingte Aktion als reine Spurenrücklassung der menschlichen Existenz ist jetzt die entscheidende Triebkraft des bildnerischen Handelns. Um sie zu immer neuen, gänzlich unerwarteten Bildfindungen zu treiben, sie als movens nicht erlahmen zu lassen, hat Hartung ein ganzes Arsenal phantastischer Werkzeuge erfunden, die auf jeweils andere Art das Agieren auf der Leinwand auch körperlich stimulieren. So kann auch die Ausdrucksfähigkeit und -kraft ständig verwandelt werden. Zu diesen Instrumenten gehört seit 1960 auch wie selbstverständlich die Spritzpistole [...] Einmal kann durch differenziert geregelten Druck die Intensität der Farbigkeit in unglaublich feinen Abstufungen gesteuert werden, die selbst mit noch so zartesten Lasuren nie gelängen. In unterschiedlicher Dauer des Auftrags können so Farbvolumen von größter Dichte entstehen, die sich in gleichmäßigen, für das Auge kaum wahrnehmbaren Übergängen bis zum leisesten Hauch der Farbigkeit an den Rändern verlieren. Dabei bleibt die Farbe immer rein in sich. Sie wird durch die große Geschwindigkeit, mit der sie aus der Düse schießt, in so winzige Partikel zerlegt, daß sie auch in der Überlagerung mit einer oder mehreren anderen immer ganz rein als Farbe im Nebeneinander der Teilchen erhalten bleibt. So können Farbmischungen von äußerster Raffinesse entstehen, die sich aber genau genommen erst auf der Netzhaut des Auges vollziehen. [...] In diesen Farbkörper schreibt sich nun in direkter, unverstellter Geschwindigkeit die Bewegung der Hand ein, reißt die obere Fläche auf, legt in unterschiedlicher Deutlichkeit die darunterliegenden Schichten frei und dringt so nicht nur in die Weite, sondern auch in die ausschließlich bildabhängige Tiefe des Grundes ein. Zeit wird auf verschränkte Weise als Energie anschaulich. Einmal in der Geste selbst, dann in der visuell in die Tiefe hinein- oder aus ihr herausschießenden Bewegung, schließlich im nachträglichen Bloßlegen der Schichten. Manchmal dringt die Spur heftig in die Farbe ein, reißt sie bis auf den nackten Bildgrund auf, der weißblitzend hervorschimmert. Der so durch den Ablauf der Bewegung farbig sich ständig wandelnde Strich ist dadurch zusätzlich zu einer pulsierenden Innenenergie vorangetrieben." (Elias Canetti, Der Himmel will durchschaut sein, und erinnert die Menschen daran durch Blitze, in: Hans Hartung, Malerei, Zeichnungen, Photographie, Ausst.Kat. Staatsgalerie moderner Kunst, München/Berlin 1981, S. 28-29).