Anna-Chaja Abelevna Kagan - Suprematistische architektonische Komposition - image-1

Lot 686 Dα

Anna-Chaja Abelevna Kagan - Suprematistische architektonische Komposition

Auktion 842 - Übersicht Köln
28.05.2003, 10:30 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 60.000 € - 65.000 €
Ergebnis: 61.360 € (inkl. Aufgeld)

Öl auf Leinwand 75,2 x 102 cm, gerahmt. Rückseitig mit schwarzem Pinsel unleserlich bezeichnet. - Partiell mit Craquelé.

Dynamik und Statuarik sind in der vorliegenden Komposition von Anna Kagan einander gegenübergestellt: Runde Formen bilden zu hochstehend rektangulären Formen die gegenpoligen Bildelemente und erinnern durch entsprechende Licht- und Schattenbildung an Kugeln oder Räder und Teile von Architektur. Die farbigen Streifen und die z.T. andersfarbig und -förmig gefaßten Umrisse der Kugeln verleihen der Darstellung ein Moment der Bewegung. So erlangt das Motiv durch bestimmte Kompositionselemente narrative und szenische Züge und unterscheidet sich darin ein wenig von anderen bekannten Werken aus den späten zwanziger Jahren, die vornehmlich eine Fernand Légers Werken ähnlich glatte Ästhetik reibungslos funktionierender Maschinenteile aufweisen (vgl. Weiss 1993, Nr. 91, op.cit.; Ausst. Kat. Frankfurt 1992, Kat. Nrn. 223, 224, op.cit.). Die Werke Légers wurden schon früh in Rußland rezipiert. So war Léger beispielsweise 1912 an der Moskauer Ausstellung "Karo Bube" mit Matisse, Picasso, Malewitsch und anderen beteiligt, befreundete sich mit Natalia Gontscharowa während ihrer Bühnenarbeiten für die "Ballets Russes" in Paris zu Beginn der zwanziger Jahre, und eine seiner Zeichnungen wurde als Titelblatt von Ilja Ehrenburgs konstruktivistischem Traktat "A vse takin ona vertisia - Und die Welt dreht sich doch" in Moskau publiziert.
Anna Kagan studierte von 1919 bis 1922 bei Kasimir Malewitsch an der Kunstschule in Witebsk und arbeitete in der Gruppe UNOWIS, die sich mit El Lissitzky, Tschaschnik und Suetin um Malewitsch gebildet hatte. Eine ihrer Grundlagen war: "Allgemeine Ausrichtung der Werkstatt ist der Kubismus, der Futurismus und der Suprematismus als neue malerisch-farbliche Realisation der Welt" (in: Ausst. Kat. Malewitsch, Suetin, Tschaschnik, Köln 1992 (Galerie Gmurzynska), S. 251). Der Suprematismus fand so Eingang in die Gestaltung alltäglicher Dinge wie Plakate und Porzellan oder Rednertribünen.
"Nikolai Suetin machte 1921 eine erstaunliche Serie von Projekten der Bewegung der suprematistischen Form, genauer des Organismus, im Raum, der durch keinerlei Koordination begrenzt war. Diesen Raum hatten gleichsam Bewohner eines anderen Planeten, wie in einer Luftaufnahme von oben fotografiert. Die Zeichnungen Suetins aus diesem Zyklus machten deutlich Eindruck auf El Lissitzky [...] und auf Malewitsch. Fügt man hinzu, daß man in Witebsk kleine architektonische Modelle zu machen begann, so läßt sich feststellen, daß der Suprematismus bereits der Architektur seine Rechnung präsentierte. [...] Eine Architektur, die auf ihre Grundlagen, die reine Architektonik, reduziert ist." (Wassili Rakitin, Die Welt als Suprematismus, in: Ausst. Kat. Köln 1992, op.cit., S. 32, S. 37)
Die Beschäftigung mit eher formalabstrakten denn praktischen Aspekten suprematistischer Architektur innerhalb der UNOWIS - wie etwa bei Gustav Kluzis und El Lissitzky - führte Malewitsch zur Entwicklung der sogenannten Architektone (s. Alexandra Schazkich, UNOWIS, Brennpunkt einer neuen Welt, in: Ausst. Kat. Frankfurt 1992, op.cit., S. 62). Diese Architektone lassen sich als dreidimensionale Umsetzung suprematistischer Malerei begreifen.
Hinsichtlich Kagans Komposition mit architektonischen Bildelementen scheint es daher nicht ohne Bedeutung, daß sie Malewitsch an die Staatliche Kunstschule GINCHUK in Petrograd/St. Petersburg folgte und für ihn dort auch Architekton-Modelle baute (s. zu den "Architektonen" Matthew Drutt (Hg.), Kasimir Malewitsch, Suprematismus, Ausst. Kat. Berlin 2003 (Deutsche Guggenheim), Abbn. S. 204-209).

Zertifikat

Mit einer Fotoexpertise von Wassili Rakitin, Frankfurt vom 26. Mai 1990

Provenienz

Nachlaß Anna Kagan, Leningrad; Sammlung Mikhail Zviagin, Russland; Galerie Avantgarde Natan Federowskij, Berlin; Barry Friedman, New York

Literaturhinweise

vgl. Evelyn Weiss (Hg.), Von Malewitsch bis Kabakov, Russische Avantgarde im 20. Jahrhundert, Die Sammlung Ludwig, München, New York 1993, Nr. 91, S. 134 f.; vgl. Die grosse Utopie. Die russische Avantgarde 1915-1916, Ausst. Kat. Frankfurt 1992 (Kunsthalle Schirn), Abb. 222-224, S. 744

Ausstellung

New York 1995/1996 (The Jewish Museum), Russian Jewish Artists in a Century of Change, S. 176, Abb. 16