Paula Modersohn-Becker - Junge mit Ziege - image-1

Lot 761 R

Paula Modersohn-Becker - Junge mit Ziege

Auktion 905 - Übersicht Köln
02.06.2007, 00:00 - - 900. Auktionen - Moderne Kunst
Schätzpreis: 100.000 €
Ergebnis: 136.850 € (inkl. Aufgeld)

Paula Modersohn-Becker

Junge mit Ziege
Um 1902

Öl auf Malkarton 35,5 x 23 cm monogrammiert und rückseitig betitelt

"Kinder waren für Paula Modersohn-Becker ein zentrales Thema: Sie malte sie in jeder Schaffensperiode, und sie stellte sie in allen Altersstufen dar. Während sie in frühen Jahren vor allem nach auffallenden Physiognomien Ausschau gehalten hatte, trat seit 1900 das Interesse am individuellen Aussehen stärker zurück gegenüber der Suche nach einem Bild des Kindes, das dessen innere Verfaßtheit, seinen psychischen Zustand, den Zustand des Kindseins an sich meint. [...] Auf die kindliche Wahrnehmung nahm Modersohn-Becker in einem Brief an ihren Bruder Kurt Bezug: 'Es ist wunderbar, wie solch ein kleines Kindergemüt ein Ding ergreift und von ihm innerlich durchtränkt wird, sich dem Eindruck in seiner Unbewußtheit völlig hingebend'." (Ausst. Kat. München 1997 (Lenbachhaus), Paula Modersohn-Becker 1876-1907. Retrospektive, o.S. (nach S. 57) "Kinderbildnisse")
Ländliche Szenen mit Kindern und Tieren, speziell Ziegen, finden sich mehrfach im Jahr 1902. Nicht immer lassen sich kindlich individuelle Züge ausmachen, auch ihre Stieftochter ist in den Bildern "Elsbeth mit Ziegen" oder "Elsbeth mit Hühnern unter Apfelbaum" sehr allgemein aufgefaßt (vgl. Busch/Werner 290, 296).
In dem hier angebotenen Bildnis ist die Figur des Jungen zwar formatfüllend vor einer nicht näher definierten, eher dunkeltonigen flachen Landschaft gegeben. Der untere Teil seines Gesichts ist jedoch vom Rücken der Ziege verdeckt, der obere von der Kopfbedeckung verschattet - ebenso verschattet übrigens auch der Kopf des Tieres. So mag es sich hierbei trotz der großformatigen Wiedergabe weniger um ein Porträt handeln, als vielmehr um die Darstellung kindlicher Hingabe und Freundschaft zu einem Tier, bei dem auch ein gewisser Besitzerstolz ein Rolle spielt, deutet man die Haltung des Jungen und die schwarze Schleife, die er seiner Ziege umgebunden hat, richtig. Denn bei keiner der anderen in diesem Jahr entstandenen Kompositionen sind Mensch und Tier in solch inniger Umarmung singulär dargestellt, sondern viel eher sind die ländlichen Szenen im sachlichen 'status quo' festgehalten. Besonderes Augenmerk ist in dem Bildnis "Junge mit Ziege" auch auf die farbliche Gestaltung gelegt. Besonders geschätzt von Paula Modersohn-Becker wurde die Abenddämmerung, weil dieses besondere Licht der sogenannten 'Blauen Stunde' einige Farbtöne wie Gelb und Weiß in hohem Maße intensiviert und zu einer Art innerem Leuchten bringen kann. Dieser Moment ist hier erfaßt, die Sonne ist bereits untergegangen, erleuchtet aber noch mit einem letzten pinkfarbenen Streiflicht den Horizont. Hinsichtlich ihrer farblichen Abstimmung konkurrieren Himmel und Tierfell in der Intensität ihres Blautons.
Am 1. Oktober 1902 schreibt Paula Modersohn-Becker in ihr Tagebuch:
"Ich habe in diesen Tagen so recht gefühlt, was für mich Farbenstimmung ist: daß alles auf dem Bilde seine Lokalfarbe wechselt nach dem gleichen Prinzip, daß alle gebrochenen Töne dadurch eine einheitliche Verwandtschaft erhalten." (Günter Busch/Liselotte von Reinken (Hg.), Paula Modersohn-Becker in Briefen und Tagebüchern, Frankfurt M. 1979, S. 328)

Werkverzeichnis

288 Busch/Werner

Provenienz

Otto Modersohn; G. Refslund Andersen, Kopenhagen (1976); Galerie Koch, Hannover; Privatbesitz Norddeutschland

Ausstellung

Bremen 1920 (Kunsthalle), Paula Modersohn-Becker. Gedächtnisausstellung, Journal, Nr. 671; Berlin/Dresden/Hannover 1922 (Kronprinzenpalais/Galerie Emil Richter/Kestner-Gesellschaft), Paula Modersohn-Becker. Gemälde, Pastelle, Zeichnungen; Hannover 1995 (Galerie Koch), Jubiläumsausstellung 40 Jahre Galerie Koch, S. 63 mit Farbabb.; Apolda 1998 (Kunsthaus), Künstlerkolonie Worpswede 1889-1908, S. 157 mit Abb.