Alexej von Jawlensky - Blumenstilleben - image-1

Lot 927 Dα

Alexej von Jawlensky - Blumenstilleben

Auktion 950 - Übersicht Köln
05.12.2009, 00:00 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 200.000 € - 250.000 €
Ergebnis: 768.000 € (inkl. Aufgeld)

Alexej von Jawlensky

Blumenstilleben
1910

Öl auf Malkarton, auf festen Unterkarton montiert 62 x 50,6 cm Unter Glas gerahmt. Oben rechts blau signiert A. Jawlensky sowie auf dem Rahmenkarton mit verblaßter brauner Tinte N 1 bezeichnet. - Auf dem Rahmenkarton mit 2 Ausstellungsaufklebern Frankfurt/Hamburg 1967 und rückseitig auf der Rahmenleiste mit einem Schweizer Zollstempel versehen. - In der oberen rechten Ecke mit 2 alten sehr kleinen, möglicherweise von Jawlensky selbst farblich angeglichenen Farbausbrüchen.

Auf den ersten Blick erscheint das Blumenstilleben vermeintlich schlicht: ein Henkelkrug, gefüllt mit Spätsommer- oder Herbstblumen wie Zynnien oder Astern, davor zwei Äpfel. Auch sind nur die Primärfarben Rot, Blau und Gelb eingesetzt, partiell miteinander verbunden zu Orange und Violett. Unvermischt sind die Farbflächen, nur zart blauschwarz umrandet, gegeneinander gesetzt. Trotz der Übersichtlichkeit ist das Auge irritiert, irritiert über die Ortlosigkeit der Gegenstände und ihre räumliche Disposition. Denn der Bildraum ist in nur wenige Felder geteilt, die sich nicht unbedingt zu einem tragenden Grund, einem Tisch o.ä., erschließen. Zusätzliche Unsicherheit entsteht durch die diagonale Linienführung der planimetrisch bildparallelen Flächen, die in ihrer Ausrichtung von links unten nach rechts oben der Pinselführung der streng parallel gesetzten Strichlagen kreuzförmig entgegen läuft. Daraus resultiert eine vibrierende Dynamik, die in dem mittig gesetzten Blütenbouquet zusammentrifft und der ersten naiven Anmutung Brisanz entgegensetzt. Im Vergleich zu den anderen 11 im Werkverzeichnis erfaßten Stilleben aus dem Jahr 1910 erweist sich das angebotene Blumenstilleben aufgrund seiner Stilmittel als modern und fortschrittlich. Es ist ein gelungenes Beispiel der von Jawlensky auch rückblickend formulierten künstlerischen Zielsetzungen:
"Meistens malte ich damals Stilleben, denn in ihnen konnte ich leichter mich selbst finden. Ich suchte intensiv in diesen Stilleben nicht den stofflichen Gegenstand, sondern wollte durch Formen und Farben das ausdrücken, was in mir vibrierte." (zit. nach Kornelia von Berswordt-Wallrabe in: Ausst. Kat. Alexej von Jawlensky zum 50. Todestag, Wiesbaden 1991, S. 38)
Am 22. Januar 1909 war die Neue Künstler-Veinigung München, kurz N.K.V.M. um die Künstler Jawlensky, Marianne von Werefkin, Gabriele Münter, Wassilij Kandinsky, Adolf Erbslöh, Alfred Kubin u.a. ins Münchener Vereinsregister eingetragen worden. Das Gründungszirkular im ersten Katalog erläutert zudem Jawlenskys künstlerisches Streben und ist bedeutsam hinsichtlich unseres angebotenen Blumenstillebens:
"Wir gehen aus von dem Gedanken, daß der Künstler außer den Eindrücken, die er von der äußeren Welt, der Natur, erhält, fortwährend in einer inneren Welt Erlebnisse sammelt und das Suchen nach künstlerischen Formen, welche die gegenseitige Durchdringung dieser sämtlichen Erlebnisse zum Ausdruck bringen sollen - nach Formen, die von allem Nebensächlichen befreit sein müssen, um nur das Notwendige stark zum Ausdruck zu bringen, - kurz, das Streben nach künstlerischer Synthese, dies scheint uns eine Losung, die gegenwärtig wieder immer mehr Künstler geistig vereinigt." (zit. nach Armin Zweite, in: Ausst. Kat. Der Blaue Reiter und seine Künstler, Berlin/Tübingen 1998/1999, S. 32 f.)
Den Terminus Synthese, wie Armin Zweite ausführt, "hatte Jawlensky in der Murnauer Zeit häufig verwendet. Ihm galt er im wesentlichen als Synonym für künstlerische Einheit, konzentrierte Komposition, Kohärenz der Farben bzw. aus Dissonanzen geformte Harmonie." (Ders. in Tayfun Belgin [Hg.], Alexej von Jawlensky. Reisen, Freunde, Wandlungen, Heidelberg 1998, S. 53)
1910 hatte ein weiterer gemeinsamer Aufenthalt mit Werefkin, Münter und Kandinsky in Murnau stattgefunden, wo Münter auch ein Haus erworben hatte. Die Freunde und Kollegen aus der N.K.V.M. stellten im September desselben Jahres ein zweites Mal bei der Galerie Thannhauser in München aus und mußten sich mit ihren Werken gegenüber den ebenfalls gezeigten Arbeiten v.a. der französischen Fauves, u.a. Derain, van Dongen, Vlaminck und Picasso behaupten - fanden aber hier vermutlich auch Bestätigung ihrer eigenen Ziele. Jawlensky, der bereits in den Jahren zuvor in Frankreich die großen Cézanne- und Gauguin-Ausstellungen gesehen und Matisse kennengelernt hatte, zeigte in der Thannhauser-Ausstellung 1910 auch 3 Stilleben. Diese Ausstellung, die danach in Karlsruhe, Mannheim, Hagen, Berlin und Dresden gezeigt wurde, dürfte schon aufgrund ihrer negativen Presse internationale Beachtung erlangt haben. Ein Jahr darauf sollten sich die Mitglieder der NKVM trennen und Anfang 1912 zur Künstlergruppe Blauer Reiter in neuer Formation zusammenfinden.

Werkverzeichnis

M. Jawlensky/Pieroni-Jawlensky/A. Jawlensky 366

Provenienz

Vom Vorbesitzer direkt beim Künstler erworben, seitdem in Familienbesitz; ehemals Sammlung Dr. Pagenstecher, Wiesbaden; Sammlung Dr. Walter Höllein, Wiesbaden; Privatsammlung

Literaturhinweise

Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Köln 1959, Nr. 732, Abb. S. 279; Jürgen Schultze, Alexej Jawlensky, Köln 1970, mit ganzseitiger Farbabb. 6, S. 23

Ausstellung

Wiesbaden 1912 (Museum Wiesbaden?), Ausst. der Wiesbadener Gesellschaft für bildende Kunst, Nr. 55; Wiesbaden 1919 (Neues Museum), Ausst. aus Wiesbadener Privatbesitz, Nr. 55 "Cinnien"; Frankfurt/München 1954 (Frankfurter Kunstkabinett/Kunstkabinett Klihm), Kat. Nr. 6; Wiesbaden 1954 (Neues Museum), Nr. 2; Wiesbaden 1957 (Neues Museum), Nr. 72; Frankfurt/Hamburg 1967 (Frankfurter Kunstverein Steinernes Haus/Kunstverein in Hamburg), Jawlensky, Kat. Nr. 117 mit ganzseitiger Farbabb. (mit rückseitigen Aufklebern auf dem Rahmenkarton)