Paula Modersohn-Becker - Sitzendes Kind an einer Birke (Kind mit Frucht). Verso: Bauernmädchen am Hang vor wolkigem Himmel - image-1
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Lot 205 Dα

Paula Modersohn-Becker - Sitzendes Kind an einer Birke (Kind mit Frucht). Verso: Bauernmädchen am Hang vor wolkigem Himmel

Auktion 997 - Übersicht Köln
22.05.2012, 00:00 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 180.000 € - 220.000 €
Ergebnis: 390.400 € (inkl. Aufgeld)

Öl auf Karton 64,1 x 47,3/47,6 cm, gerahmt. Unten rechts rotbraun datiert 05. - Rückseitig in der oberen linken Bildhälfte mit Bleistift in Sütterlin von Otto Modersohn bestätigt: "Hierdurch bezeuge ich daß dieses Bild/ "Kind mit Frucht" von der Hand/ Paula Modersohn-Beckers/ herrührt. Otto Modersohn/ Fischerhude/ 1. Nov. 22". - Rückseitig oben links mit altem fragmentierten Papieraufkleber und weiteren Bezifferungen, zum Teil unleserlich, sowie mit dem unterstrichenen Monogramm "OM" versehen. - Der Karton leicht unregelmässig geschnitten und etwas wellig, mit einigen wenigen älteren Retuschen; fachmännisch restauriert.

Busch 591; Pauli (1922) 62 a; Otto Modersohn Verzeichnis (1921) 15

Mit einer Fotoexpertise von Günter Busch, Bremen, vom 8. Februar 1989 (in Kopie)

Für die erste Generation von Worpsweder Künstlern bedeutete die Übersiedlung auf das Dorf eine Flucht aus der Stadt und eine sentimentale Hinwendung zu den „einfachen Menschen“ abseits der urbanen Zivilisation. Paula Becker kam jedoch als Kunstschülerin in das ländliche Worpswede, weil dort die von ihr verehrten Künstlervorbilder arbeiteten. In den Bauern und Bäuerinnen, den Alten und vor allem den Kindern des Dorfes fand sie ihre bevorzugten Motive. Sachlich und unsentimental sind ihre Porträts, doch zugleich voller Wärme und Achtung vor den Menschen. Diese werden weder geschönt, noch wird ihre ärmliche Lebenssituation idealisiert. Die Malerin stellte sie als Persönlichkeiten in der Intensität dar, wie sie ihr begegneten.
Das Kinderbildnis hatte mit der Romantik eine neue Bedeutung in der Kunst gewonnen. Bevorzugt wurde das Kind im 19. Jahrhundert als heiteres, im Einklang mit der Natur lebendes Wesen dargestellt. Doch um 1900 änderte sich die gesellschaftliche Einstellung dem Kind gegenüber. Durch das Erscheinen pädagogischer Schriften wurde das Bewusstsein für die Persönlichkeit des Kindes und seiner kindlichen Empfindungswelt geweckt. Deutlich wird diese neue, realistische Sichtweise etwa in den Bildnissen kranker, leidender Kinder von Edvard Munch und Käthe Kollwitz, denen eine sozialkritische Anklage innewohnt. Den Kinderbildnissen von Paula Modersohn-Becker fehlt jedoch alles Anekdotische wie auch die anklagende Komponente. Geprägt von einem tiefen Verständnis für die Porträtierten erhielt das Kinderbildnis bei ihr eine völlig neue Perspektive.

„Deutlich setzt sich Paula Modersohn-Becker mit ihrer Darstellung des Kindes von der Tradition ab: Eine fröhliche Spielatmosphäre, auch eine bürgerliche Geborgenheit fehlen vollständig. Stattdessen blicken die Kinder ernst, halten den Kopf oft leicht gesenkt, strahlen keine kindliche Leichtigkeit, sondern Schwermut aus. Auffallend sind die weit geöffneten Augen der Kinder, die, auch wenn sie sich auf den Betrachter richten, doch durch diesen hindurchzublicken scheinen [...]. Die Motive der tiefen, nicht-wissenden beziehungsweise der großen, aber verschwiegenen Kinderaugen finden sich in der zeitgenössischen Dichtung Hofmannsthals und Rilkes. Paula Modersohn-Beckers zwischen 1902 und 1905 entstandene Bildnisse zeigen das Kind meist in Nahsicht, aber in Isolation.“ (aus: Paula Modersohn-Becker, Retrospektive, Ausst. Kat. Lenbachhaus, München 1997, zwischen Tafel 101 u. 102, unpag.).

Das in unserem Werk vorliegende Thema eines kleinen Mädchens vor einem Birkenstamm variiert die Künstlerin motivisch in den wohl im selben Jahr entstandenen Bildnissen "Mädchen in rotem Kleid am Baumstamm vor Wolkenhimmel" (Busch 594) und "Kind mit rotem Kleid am Birkenstamm" (Busch 595). Wie häufig im Oeuvre Modersohn-Beckers ist auch die Rückseite der Pappe bemalt. Die unvollendete Darstellung eines jungen Mädchens, welches vor wolkenverhangenem Sturmhimmel einen Abhang hinuntersteigt, kommt motivisch variiert ebenfalls 1905 in dem Gemälde "Stehender Junge am Hang" (Busch 593) zur Ausführung.

Werkverzeichnis

Busch 591; Pauli (1922) 62 a; Otto Modersohn Verzeichnis (1921) 15

Provenienz

Otto Modersohn; Privatbesitz, Zwickau in Böhmen (1923); Galerie Hermann Abels, Köln (1930er Jahre); Privatbesitz; Galerie Neher, Essen (1984); Privatsammlung Nordrhein-Westfalen

Literaturhinweise

Gustav Pauli, Paula Modersohn-Becker, München 1922 (2. Aufl.), Nr. 62 a; Galerie Hermann Abels, Katalog Meisterwerke deutscher Kunst, Köln o.J. (Kind mit Apfel)

Ausstellung

Bremen 1920 (Kunsthalle Bremen), Gedächtnis-Ausstellung Paula Modersohn-Becker, Journal der Bremer Kunsthalle Nr. 649; Berlin/ Dresden/ Hannover 1922 (Kronprinzenpalais/ Galerie Emil Richter/ Kestner-Gesellschaft), Paula Modersohn-Becker, Gemälde, Pastelle, Zeichnungen (o. Kat.); Düsseldorf 1970/1971 (Galerie Wilhelm Grosshennig), Kat. S. 52 mit Abb.