Heinrich Maria Davringhausen - Weiblicher Akt in Architekturen - image-1

Lot 632 Dα

Heinrich Maria Davringhausen - Weiblicher Akt in Architekturen

Auction 847 - overview Köln
26.11.2003, 00:00 - Moderne u. Zeitgenössische Kunst
Estimate: 30.000 € - 35.000 €
Result: 30.940 € (incl. premium)

Öl auf Leinwand 199,5 x 100,2 cm, auf neuen Keilrahmen aufgezogen. - Mit wenigen horizontal verlaufenden, schwachen Knicken.
Eimert 95

1916 entstehen vier Gemälde in diesem ungewöhnlich schmal hohen Format, denen die groß angelegte Figur vor niedrigem Horizont gemeinsam ist. (vgl. Dorothea Eimert, Heinrich Maria Davringhausen, Monographie und Werkverzeichnis, Köln 1995, Nrn. 94, 95, 97, 100). Dabei ergänzen sich Figur und Umraum auf emblematischer Ebene.
In dem vorliegenden Gemälde "Weiblicher Akt in Architekturen" ist die Figur mit einem ähnlich futuristisch bewegten Umraum umgeben wie "Der Irre" (heute im Westfälischen Landesmuseum Münster), unter dessen sakralbaulichen Gewölben widerstreitende Kriegsparteien aufeinander einstechen: Ob es sich bei dem "Irren" um Opfer oder Befürworter des Krieges handelt, sei dahingestellt. Bar jeglicher politischer Implikation im Gegensatz dazu, der gotisch anmutende Akt, der in S-förmig gelängter Linie weniger schaumgeborene Venus, als neue Eva zu sein scheint. Das weibliche Geschlecht zentral gegeben und wie von einem Nimbus umstrahlt, scheint auch das grün-rosafarbene Inkarnat gleichsam von Innen magisch zu leuchten - passend zu den grünen katzenhaften Augen. Diese Glorifizierung des Weiblichen deutet möglicherweise daraufhin, daß es sich bei dem angebotenen Werk um das Pendant zu dem Kriegsbild "Der Irre", nämlich um die Vision von "Liebe" handelt.
Der bei beiden Werken Davringhausens dargestellte Architekturraum ist der 1909/1910 entstandenen Serie zu dem gotischen Kirchenraum Saint-Séverin von Robert Delaunay nachempfunden (s. Abb.). Bekannt wurde Delaunays Komposition in Deutschland durch die Ausstellung "Der Blaue Reiter" in München 1911/1912, zu der er "Saint-Séverin 1" geschickt hatte. Adolf Erbslöh erwarb dieses Gemälde noch in der Ausstellung.
"Von den deutschen Künstlern wurde diese Vision des verzerrten, Torsionen unterworfenen Kirchenraums in hohem Maße expressiv, gleichsam als subjektive Innenerfahrung verstanden. Bei Delaunay wird Sehen als Prozess thematisiert, mit großen Konsequenzen für die formalen Mittel der modernen Kunst, in der Rezeption des deutschen Expressionismus werden diese Mittel zum Ausdruck von inhaltlicher Erschütterung, von innerer Schau einer aus den Fugen geratenen Welt." (Annegret Hoberg, Robert Delaunay, in: Peter-Klaus Schuster (Hg.), Delaunay und Deutschland, Köln 1985, S. 356).
1914 beteiligte sich Davringhausen erstmals an einer in der Galerie Flechtheim in Düsseldorf und darauf in der Berliner Dependance der Galerie Feldmann stattfindenden Ausstellung der "Rheinischen Expressionisten". Mit August und Helmuth Macke, Heinrich Campendonk, Heinrich Nauen u.a. stellte auch Adolf Erbslöh aus. Möglicherweise trafen sich Davringhausen und Erbslöh dort zum ersten Mal. Vom Kriegsdienst wegen einer Kopfverletzung in früher Jugend befreit, zog Davringhausen 1916 nach Berlin, wo er vornehmlich mit Künstlern und Literaten verkehrte, die "ohne Ausnahme überzeugt [waren], daß der Krieg ein Verbrechen, die Revolution unabwendbar und jeder Künstler, der diesen Namen verdient, ihr Vorbote war." (Wieland Herzfelde, zit. nach Eimert 1995, op.cit., S. 41) Vor diesem Hintergrund kommt die Verarbeitung eines französischen Themas beinahe einer Parteinahme für den französischen "Erbfeind" gleich. Ein weiterer Vergleich mit Delaunays Kirchenraum "Saint-Séverin" zeigt, daß Davringhausen unter dem Einfluß futuristischer Malerei den Umraum in seinem "Akt in Architekturen" noch weiter verschachtelt, die Durch- und Einblicke potenziert. Interessanterweise ersetzt Davringhausen den Mittelpunkt der Komposition - der bei allen Versionen der Komposition Delaunays auf ein hell erleuchtetes Fenster hinführt und wie ein Hinweis auf das nahende Heil wirkt - durch die Frau selbst, die so dort gleichsam als Hoffnungsträger steht.

Catalogue Raisonné

95 Eimert

Provenance

Geschenk des Künstlers an den Vorbesitzer