Schwarze Kreidezeichnung auf elfenbeinfarbenem Velin 35,5 x 27,4 cm, unter Glas gerahmt. Unten links signiert Modigliani. - Mit unerheblichen Randmängeln.
"Was er liebte, zerstörte er. So erging es den Frauen, die in seine Hände gerieten. Ein Erlebnis mit Modigliani war nicht gerade bequem. Aber in solchen Tagen und Nächten entstanden dicke Packen herrlichster Zeichnungen, die Gestalt der Frau in vielen Variationen mit rascher sicherer Kontur hingesetzt. Das war seine Meisterschaft," schrieb der Maler Curt Stoermer 1931 (zit. nach Ausst. Kat. Modigliani, Düsseldorf/Zürich 1991, S. 201).
Ist die Gestalt des hockenden Aktes ein Haupthema im Oeuvre Modiglianis und finden sich in der knienden Körperhaltung mit schräg gelegtem Kopf ähnliche Vergleichsbeispiele wie etwa das einer "Badenden" mit einem ebensolchen im verstärkten Umriß verkürzt dargestellten Fond (vgl. Abb. 17 bei Osvaldo Patani, Modigliani - Disegni, Mailand 1976), zählt die hier angebotene "Karyatide" aber zu einem der Topoi in der Motivik Modiglianis. Mit den Karyatiden sind Skulpturen, nicht lebende Modelle, thematisiert, die vornehmlich bekannt als Bauplastik seit der Antike den Architrav, bzw. den Dachaufbau von Tempeln und anderen Gebäuden 'stützten'. Dem Kunsthändler und Sammler Paul Guillaume gegenüber soll sich Modigliani auch einmal über seinen Traum von einem Tempel geäußert haben, der von Hunderten von Karyatiden umstellt sei (Ausst. Kat. Drawings by Amedeo Modigliani - Collection Alsdorf, Art Institute of Chicago 1955, vgl. Nr. 3).
Den Zeichnungen von Karyatiden kommt so auch eine Mittlerrolle zwischen dem malerischen Werk Modiglianis und seinen vornehmlich von afrikanischem Formengut beeinflußten Skulpturen zu.
Catalogue Raisonné
Die Zeichnung wird in den 3. Band des Werkverzeich
Certificate
Mit einer Fotoexpertise von Christian Parisot, Paris, vom 6.3.2004; die Zeichnung wird mit der Nr. 49/1912 in Band 3 des Catalogue Raisonné von Christian Parisot aufgenommen
Provenance
Von dem Vorbesitzer, Karl Keck, Leipzig, Leiter des Bibliographischen Instituts und Mitherausgeber von Meyers Lexikon, vermutlich in den 1940er Jahren in Paris erworben