Ölfarben, Gouache und schwarze Tusche auf bräunlichem festen, strukturierten Zeichenpapier 57,9 x 44 cm, unter Glas gerahmt. In der rechten oberen Ecke, leicht schräg gesetzt, schwarz beschriftet L'espion e [sic] sowie rückseitig unten in der Mitte mit schwarzer Tusche nochmals betitelt L'ESPiONNE. - Mit kleiner Farbabplatzung unten rechts der Mitte. Rückseitig oben und unten auf Kartonunterlage (89,2 x 58,9 cm) montiert.
Thévoz 2751
Das Werk von Louis Soutter, wie Paul Klee ein zweifach Begabter, sowohl im Geigenfach wie in der Kunst ausgebildet, hat man auf Grund der biographischen Brüche und der stilistischen Merkmale deutlich gliedern können. Zu dem künstlerisch spannensten Teil gehört die Fingermalerei der Jahre 1937 bis 1942, die man mit anderen Zeichnungen, die er sorgfältig nach Größe sortiert und in Zeitungen verpackt in einer Zimmerecke seines Asyls in Ballaigues bei Lausanne aufbewahrt hatte, postum entdeckte. Aus dieser Periode stammt die außerordentliche Komposition der "Espionne" wie auch die beiden nachfolgenden charakteristischen Papierarbeiten. Die Entdeckung seiner Kunst und ihres Stellenwertes bleibt nachhaltig beeinflußt durch die Wertschätzung anderer Künstler nach dem Kriege, nicht zuletzt durch Jean Dubuffet. Rezipiert wurde Soutter auf dem Hintergrund der Diskussion um die "Art Brut" und die Psychopathologie der Kunst. Soutters Werk bleibt aktuell, insofern auch zeitgenössische Positionen sich mit seiner Kunst und ihrer Ausdrucksform in Beziehung bringen lassen.
Umgekehrt mag Louis Soutter, wie es Michel Thévoz, der Werkverzeichnisbearbeiter und Soutter-Interpret, betont, sich künstlerischer Vorbilder bewußt gewesen sein, seien es die expressiven Gestaltungen eines Georges Rouault oder die Strömungen des Symbolismus. Ein spezifischer Zeitgeist mag ihn zweifellos in seiner Studienzeit in Brüssel beieinflußt haben. Hier lernte er seine spätere Frau kennen, hier hatte er bei dem Violonisten Eugène Ysaye, den Soutter zeitlebens sehr verehrte, am Konservatorium studiert und wohl im Kreise der "Vingt" und "Libre Ésthétique" Konzerte mit Fauré und Debussy gegeben.
Soutters überlieferter Dandyismus, seine Lebensflucht und die nicht gelösten sexuellen Obsessionen finden nach den Katastrophen der Biographie und einem physischen wie seelischen Zusammenbruch 1905/1906 zu einem neuen bildkünstlerischen Ausdruck. Die späte "Espionne", die durch ihre strenge Frontalität und den pastosen Einsatz der Farbe starke Wirkungen entfaltet, ist eine bedrängende Vision einer übermächtigen "Femme fatale":
"Ich bin schön wie der Tod
Und gehöre allen, wie er."
(Emil Verhaeren, zitiert nach: Michel Thévoz, Male Weiber..., in: Louis Soutter, Lausanne 1970, S. 100; dabei der Hinweis, daß "Der Tod im Französischen weiblich (la mort)" ist. Thévoz' Kapitelüberschriften beziehen sich auf ein Gedicht Hermann Hesses zu "Louis Soutter".)
Faszinierend ist, wie die "Ohrgehänge" des Antlitzes sich piktogrammartig zu Kreis und Kreuz abstrahieren, einer kombinierten Grundform, der man in der sog. "Außenseiterkunst", aber auch bei Dubuffet, wiederbegegnen kann.
Provenance
ehemals Galerie Rudolf Zwirner, Köln; Rheinische Privatsammlung
Literature
Armin Zweite (Hg.), Ausst. Kat. Louis Soutter (Städtische Galerie im Lenbachhaus, München/ Kunstmuseum Bonn/ Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 1985), Berlin 1985, S. 43 mit Abb.
Exhibitions
Köln 1987-2006 (Museum Ludwig), private Leihgabe