Die neue Gier nach Kunst

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete am 3. Mai 2020 über das Versteigern in Zeiten der Kontaktsperre am Beispiel von Lempertz. 

Die neue Gier nach Kunst

In Zeiten der Kontaktsperre Bilder zu versteigern ist keine leichte Aufgabe. Das Auktionshaus Lempertz versucht sich trotzdem daran. Denn selten war die Nachfrage so hoch. Von Dennis Kremer

Nicht nur Schauspieler brauchen ihr Publikum, sondern auch Auktionatoren. Henrik Hanstein, Chef des Kölner Auktionshauses Lempertz, ist mit seinen 69 Jahren so etwas wie der Doyen der deutschen Kunstversteigerer, er hat schon viel erlebt. Aber dass er Werke wie jetzt in der Corona-Krise weitgehend ohne Publikum versteigern musste, ist auch ihm noch nicht untergekommen.

„Das ist so wie ein Pfarrer, der ohne Gemeinde predigt. Oder wie ein Dirigent, der sein Orchester animieren muss, das eigentlich getragen wird vom Beifall des Publikums“, erzählt Hanstein per Video-Anruf, wie sonst in diesen Zeiten. „Es ist schon frustrierend.“ Hanstein liebt den Auftritt, gerne macht er einen kleinen Scherz, um die Bieter im Saal in Stimmung zu bringen. Derzeit ist dies alles nicht möglich. Der Lempertz-Chef hofft jetzt darauf, dass die jüngsten Lockerungsbeschlüsse auch in seinem Haus wieder zu mehr Publikumsverkehr führen werden. Trotzdem ist eines sicher: So voll wie früher wird es wegen Corona in den Auktionssälen auf absehbare Zeit nicht mehr werden.

Das klingt wie eine schlechte Nachricht, ist es aber interessanterweise nicht. Denn auch wenn Hanstein – Jahresumsatz 2019 rund 56 Millionen Euro, 70 Mitarbeiter – den Andrang im Saal vermisst, läuft das Geschäft besser als gedacht. „Die Leute sind derzeit gierig nach Kunst“, sagt der Lempertz-Chef und bestätigt damit, was auch andere Auktionshäuser berichten. Nur kann diese Lust an der Kunst eben nicht auf traditionellem Wege befriedigt werden, sondern ganz modern: per Online-Gebot. Das ist für viele Auktionshäuser nichts Neues, Online- und selbstverständlich auch Telefon-Bieter gehören seit Jahren fest dazu.

Trotzdem hat es im Falle von Lempertz einen besonderen Charme. Denn die Geschichte des Hauses geht zurück bis ins Jahr 1798, man ist damit das älteste Auktionshaus der Welt in Familienbesitz – anfangs in den Händen der Familie Lempertz, später in Händen der Familie Hanstein. Gerade traditionelle Häuser tun sich ja oft schwer mit Innovationen, aber Henrik Hansteins Kinder haben dafür gesorgt, dass es gar nicht so weit kommen konnte. Seine Töchter arbeiten an führender Stelle im Unternehmen mit. Die ältere leitet das Berliner Büro des Auktionshauses. Die jüngere, Isabel Apiarius-Hanstein, teilt sich seit einiger Zeit mit ihrem Vater die Geschäftsleitung. „Jetzt zeigt sich, wie wichtig es war, rechtzeitig auch auf die digitalen Kanäle zu setzen“, sagt sie.

Wobei dies für alle Auktionshäuser mit einer besonderen Herausforderung verbunden ist: Wer Kunst allein online versteigert, läuft Gefahr, am Ende doch auf manchem Werk sitzenzubleiben. Denn anders als bei einer öffentlichen Auktion mit Publikum im Saal gilt im Internet nach Erhalt der Ware ein Rückgaberecht von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen. Darum hat Lempertz anders als andere deutsche Auktionshäuser wie Ketterer nie reine Online-Auktionen veranstaltet. Das Problem in Zeiten des Social Distancing ist aber: Publikum ist derzeit von offizieller Seite nicht erwünscht. Aber am Ende hätten immer ein oder zwei Besucher den Weg in den Auktionssaal in der Innenstadt gefunden, die man nicht habe abweisen wollen, berichtet Henrik Hanstein.