Alexis Mérodack-Jeaneau - À Verlaine (Portrait de Verlaine) - image-1

Lot 875 Dα

Alexis Mérodack-Jeaneau - À Verlaine (Portrait de Verlaine)

Auction 859 - overview Köln
05.06.2004, 00:00 - Moderne Kunst
Estimate: 40.000 € - 45.000 €
Result: 71.400 € (incl. premium)

Alexis Mérodack-Jeaneau

À Verlaine (Portrait de Verlaine)
1903

Öl auf Leinwand, doubliert 55 x 46,3 cm signiert

Bei Paul Verlaine (1844 - 1896) verdichtete sich dem synästhetisch durchtränkten französischen "Fin-de-siècle" und einer vom Symbolismus geprägten Generation ähnlich wie bei Charles Baudelaire oder Stéphane Mallarmé beispielhaft der Bruch mit der Tradition um den Preis eines subjektiven Ringens um Kreativität und "Spiritualität", die eine neue Kunst und neue Formen des Ausdrucks zeitigte. Was noch in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts als verstörend anders, kryptisch und "dekadent" empfunden wurde, begründete wenig später ihren Ruhm und ihre Bedeutung als Vorläufer in den gärenden Prozessen des künstlerischen wie gesellschaftlichen Wertewandels um 1900. Der Künstler galt als Seher und Prophet in einer sich rasant verändernden Welt, wenn auch zuweilen mit tragischer Note. "M. Paul Verlaine a des sens de malade, mais une âme d'enfant; il a un charme naif dans la langueur maladive; c'est un décadent qui est surtout un primitif", schrieb der Kritiker Jules Lemaitre (La Revue Bleue, 7. Jan. 1888, zitiert nach: Paul Verlaine, Fêtes Galantes u.a., Paris 1976 (Garnier-Flammarion), Anhang S. 187).
In der erstaunlich forcierten und radikalen Form- und Farbensprache von Alexis Mérodack-Jeaneau wird der Dichter mit seinem charakteristischen Profil eines sanguinischen Melancholikers tatsächlich als "primitif", ja fast tartarisch interpretiert, wobei die starken Farben und der pastose Auftrag in dieser persönlichen "Hommage" an Verlaine unmittelbar den Expressionismus vorwegnehmen und auf die Anfänge eines Delaunay oder Van Dongen verweisen. Die Suche nach dem ursprünglichen, "naiven" wie unmittelbaren Ausdruck prägte hier bei diesem Maler, der auch, wie andere spätere "Fauves", im Atelier Gustave Moreaus (-"Peindre, c'est imaginer la couleur"-) ausgebildet worden war, den von naturalistischen Bezügen befreiten Einsatz der reinen Farbe und seiner eigenen "ligne-couleur" (vgl. Patrick Le Nouene, op. cit., S. 62), während Kollegen noch unter dem Bann des Postimpressionismus analytisch mit optischen Effekten experimentierten.
Ist über das schmale Werk dieses Malers aus Angers noch vergleichsweise wenig bekannt, ist Mérodack-Jeaneaus Rolle als Initiator der Gruppe "Les Tendances Nouvelles" in Paris, als Herausgeber der gleichnamigen Zeitschrift und als Schlüsselfigur für Kandinskys frühe Beziehungen zu Frankreich seit 1904, möglicherweise vermittelt durch theosophisch interessierte russische Künstlerkollegen, wiederholt beschrieben worden. Hier schließt sich ein faszinierender Kreis künstlerischer Entwicklungen: Späte symbolistische Strömungen Frankreichs berühren sich entwicklungsgeschichtlich mit der Genese abstrakt-expressiver Tendenzen und mit einem anspruchsvollen, weit gesteckten kunsttheoretischen Programm, das auf die Ursprünge und die Idee des "Blauen Reiter" letztendlich von Einfluß gewesen sein mag. (vgl. Fineberg, op. cit., S. 93 ff.).

Provenance

Sammlung Oscar Ghez, Genf (Musée du Petit Palais, Genf)

Literature

vgl. Patrick Le Nouene, Le Cirque d'Alexis Mérodack-Jeaneau (1873-1919) au Musée des Beaux-Arts d'Angers, in: Revue du Louvre, Nr. 5, Déc. 1999, S. 58 - 63; vgl. zu "Les Tendences Nouvelles" Jonathan David Fineberg, Kandinsky in Paris 1906-1907, Ann Arbor Michigan 1984, S. 59 ff., S. 93 ff. sowie Georgia Illetschko, Kandinsky und Paris. Die Geschichte einer Beziehung, München 1997, S. 10-16.

Exhibitions

Saint-Antoine l'Abbaye 1987 (Musée Jean Vinay), Trésors du Petit Palais de Genève, dazu im Kat. "Dialogue International (Edition spéciale)", 1/1987, S. 67 mit Abb.; Ixelles 1991 (Musée d'Ixelles), Jean Cocteau et ses Amis Artistes, Kat. Nr. 273 mit Abb.; Japan 1993 (Musée départemental d'Art de Yamanashi/Navio Museum of Art/Musée et Institut culturel de Miyazaki/Musée municipal d'Art de Hamamatzu/Musée départemental d'Art de Okyyama), Paris, Joie de Vivre, Kat. Nr. 75, S. 96 mit Abb.; Metz 1996 (Musée de Metz), Paul Verlaine; Paris 1996 (Galerie Matignon 32), Entre Fauvisme et Expressionnisme