Öl auf Malkarton 45 x 63 cm. Unbezeichnet. -Busch/Werner 547
Schon ab 1901 sind Märchendarstellungen im Werk von Paula Modersohn-Becker - wenn auch wenige - nachzuweisen. Ihr Mann berichtete, er habe sie zu der Beschäftigung mit diesem Themenbereich überredet (s. Ausst. Kat. München 1997 (Lenbachhaus), Paula Modersohn-Becker, 1876-1907. Eine Retrospektive, S. 75). Denn zu Beginn des Jahrhunderts waren im Zuge der Jugenstilbewegung Märchenmotive auch in Worpswede en vogue, Otto Modersohn selbst und Heinrich Vogeler verarbeiteten diese Themen.
Im Gegensatz zu den realen landschaftlichen Gegebenheiten, die Paula Modersohn-Becker in ihren anderen Werken, den Porträts und den Kinderdarstellungen, nicht außer acht läßt, folgt die Natur in dem Gemälde "Die sieben Raben I" anderen Gesetzen. Die schwarzen mächtigen, völlig unbelaubten Bäume haben nichts mit den sonst üblichen schlanken hellhäutigen Birkenstämmen zu tun, sondern nehmen hier beinahe anthropomorphe und unheilvolle Gestalt an. Die gelben Blüten ähneln eher aus der Erde gewachsenen Sterntalern, denn einem natürlichen Bewuchs, und auch die blau-grüne Farbe des Pferdes läßt sich nicht nur durch halbschattiges Abendlicht erklären. Das Märchenhafte ist so bildimmanent und nicht ausschließlich narrativ - die Geschichte erzählt von einem kleinen Mädchen, was sich auf die Suche nach ihren sieben Brüdern macht, die durch einen elterlichen Fluch in Rabengestalt verwandelt wurden. Im Gegensatz zu früheren märchenhaften Bildmotiven wie beispielweise "Dornröschen" von 1903 (Busch/Werner 196. vgl. Farbabb. Ausst. Kat. München 1997, op.cit., S. 78), ist die Darstellungsform der "Sieben Raben I" knapp gefaßt, nicht detailverloren, und trägt eher ornamentale Züge, was aus der zunehmenden Kenntnis zeitgenössischer französischer Werke etwa Vuillards oder Matisses resultieren mag - 1905 verbrachte Paula Modersohn-Becker wiederholt einige Studienmonate in Paris.
Die zweite Bildfassung "Sieben Raben II" war lange im Besitz der Familie und befindet sich jetzt in der Sammlung Bernhard Kaufmann, Worpswede (Busch/Werner 548).
Catalogue Raisonné
547 Busch/Werner
Certificate
Mit einer Foto-Expertise von Günter Busch, Bremen, vom 22.5. 1959
Provenance
Philine Vogeler, Worpswede; Sammlung Hilde Lehmann, Duisburg (1918); Yolande Cid de Regnard, Paris (1959); Privatbesitz Brasilien
Exhibitions
Düsseldorf 1928/1929 (Galerie Alfred Flechtheim), Paula Modersohn-Becker 1876-1907, Kat. Nr. 23